Eine Liebesehe
entgegnete sie. »Er möchte nicht, daß sie denken, sie müßten auf ihn Rücksicht nehmen.«
»Ja so?« gab der Mann zurück. »Also, auf Wiedersehn, Frau Barton. Ich muß jetzt wohl weiter.«
Gleich nach seinem Weggang setzte sie sich hin, um Hals Brief zu lesen. Er kam aus Frankreich, aus Paris. Dort lebte Hal immer noch mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern Germaine und Angele. Er schrieb selten, nur zu Weihnachten oder zum vierten Juli, dem Erinnerungstag an die Unabhängigkeitserklärung, oder sonst zu einem besonderen Tag.
Diesen Brief habe er zum Muttertag geschrieben, sagte er. Zwei kleine Gelegenheitsbilder der Mädchen lagen bei – dünne, schüchterne Geschöpfchen mit Schleifen und Rüschen. Ruth betrachtete die Bilder genau, eins nach dem andern, ohne auch nur das Gefühl zu haben, daß die Mädchen lebten. Sie konnte ihre Namen nicht aussprechen und hatte es auch nie versucht. Mimis Briefe, die jeden Monat regelmäßig eintrafen, beantwortete sie nie. Was für einen Zweck hätte das gehabt, wenn Mimi kein Englisch verstand? Sie waren an William gerichtet; er las sie, erzählte Ruth den Inhalt, und dann beantwortete er sie.
Mit Bitterkeit dachte sie manchmal, daß es Williams Blut war, was Hal so ruhelos machte und bewirkte, daß er nie mehr heimkam. Sogar jetzt fand William, obwohl er alt und halbkrank war, immer noch keine Ruhe. Heute den Hügel hinaufklettern! Obwohl sie weiß Gott alles getan hatte, ihm das Leben angenehm zu machen! »William hatte ein sehr leichtes Leben«, murmelte sie vor sich hin.
Sie nahm Hals Brief, entfaltete ihn und begann ihn sorgsam zu lesen.
»Liebe Mama,
also mir geht es wirklich großartig. Ich habe das Taxigeschäft aufgegeben und bin Chauffeur bei einer amerikanischen Kanone. Wir sind durch ganz England gefahren, dann fuhren wir durch Belgien, Frankreich, die Schweiz und Italien. Jetzt stecke ich in Spanien. Es war mir nicht ganz wohl zumute, als ich die alten Schlachtfelder und Friedhöfe voller Kreuze sah, wohin wir fuhren, um den Sohn meines Chefs, der im Krieg gefallen ist, zu suchen. Ich hatte wirklich Glück, mit dem Leben davonzukommen. Hier wird augenblicklich viel von einem neuen Krieg geredet, aber ich denke, diesmal muß ich nicht dran glauben. Ich hab' genug vom letztenmal und mag nicht mehr gehen. Du brauchst Dich also nicht zu sorgen. Ich meine ohnehin, es gibt keinen Krieg.
Also es geht uns allen gut. Den Kindern geht's gut. Mimi ist eine ebenso gute Frau wie Mutter. Wünschte, du würdest mal herüberkommen und uns besuchen. Vielleicht gelange ich durch meine neue Anstellung mal nach Amerika. Würde mich freuen, die alte Heimat und alle Leute wiederzusehen. Leb wohl und alles Gute für Euch
Hal.«
»Das sind wirklich gute Nachrichten, und ich muß es William erzählen«, sagte sie halblaut zu sich.
Sie ging zur Haustür und schaute hinaus. William arbeitete sich immer noch den Hügel hinauf. Er hielt Richard an der Hand. Woher war das Kind nur gekommen?
›Er ist so töricht‹, dachte sie mit angstvollem Ärger. ›Er wird todmüde zurückkommen, und nur wegen etwas, das er gar nicht zu tun brauchte.‹
Sie seufzte und begab sich wieder an ihre Arbeit. Am besten machte sie, daß sie damit fertig wurde. Sie mußte sich ganz bestimmt seiner annehmen, sobald er heimkehrte.
»Sei nicht so bös mit mir, Ruth«, bat er sie matt.
Er fühlte sich körperlich so elend, daß das dazukommende Gewicht ihrer barschen, zornigen, erschrockenen Liebe beinahe genügte, um ihn über den Rand zu stoßen, dem er jetzt immer so nahe war und hinter dem das Dunkel lag.
»Ich bin nicht böse«, entgegnete sie. »Ich sage nur, William, wenn du auf mich hören würdest …«
»Ich höre ja auf dich«, flüsterte er. »Ich habe immer auf dich gehört.«
»Nun, ich sagte dir doch, du solltest nicht auf den Hügel klettern und noch dazu den Malkasten mitschleppen!«
Er antwortete nicht. Er schloß die Augen und wappnete sich gegen den neuerlichen Angriff des frischen, starken Schmerzes. Er mußte daran denken, was der Arzt ihm gesagt hatte: daß er wahrscheinlich nicht unter Schmerzen sterben würde. Der Tod würde sich des Nachts, wenn er schlief, zu ihm schleichen. Er würde einfach nicht mehr erwachen. Das war sein Trost.
Da kam der Anfall! Er stöhnte aus der Tiefe seines Wesens, stöhnte aus erstickter Seele.
»Hier, halt dich an mir fest«, befahl Ruth.
Sie ergriff seine Hände, und er umklammerte sie. Der Schweiß brach auf seinen
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