Eine Liebesehe
heftig, daß sein ganzer Körper zitterte. Warum konnte es ihm nicht besser dienen, wenn es Kraft genug hatte, so zu pochen? Diesen Hügel hatte er einst kaum als Bodenerhebung betrachtet. Er war hinaufgesprungen, beladen mit Staffelei, Leinwand und Malkasten, erfüllt von Eifer, sich ans Tagewerk zu begeben. Jetzt aber war er auf den Blickpunkt der Kindheit zurückgesunken. Der Hügel türmte sich über ihm.
Er wartete etwas länger.
Auch an der Stelle, wo er nun saß, befand er sich kaum über den Baumwipfeln. Aber seit so langer Zeit war er nicht mehr bis zu dieser Höhe hinaufgeklettert, daß er sich hochgemut fühlte. Er konnte die weite, sanft gewellte grüne Landschaft sehen – »flach« hatte ein Besucher aus Neu-England sie im vergangenen Sommer genannt, und William hatte sich geärgert, daß seine Landschaft mißverstanden wurde.
»Sie ist nicht wie Ihre Gegend in lauter runden Hügelchen zusammengedrängt«, hatte er kalt entgegnet. »Sie ist viel majestätischer. Sie hat die Wellenlinie des Meeres.«
Jetzt empfand er ihren weiten, gewellten Reichtum, den die Bauernhöfe in feste Mittelpunkte menschlichen Lebens unterteilten. Er erblickte den Nachbarhof, wo Mary wohnte. Alle Farmen sahen gleich aus, sie hatten dieselben Ställe und festgefügten Steinhäuser wie Ruths Hof. Von einer anderen Stelle aus betrachtet, wirkte die Wohnstätte unter ihm, wo er sein Dasein mit Ruth zusammen verbracht hatte, genau wie die andern. Kein nennenswerter Unterschied ließ darauf schließen, daß sein Leben nicht wie das der andern wäre. Es war auch nicht anders, außer daß er selber immerdar, unveränderlich anders war.
Dieser Unterschied machte sich, als er älter wurde, fühlbar, wenn er in der kleinen Stadt erschien, die auch Sitz der Grafschaft war. Die leicht scherzenden Stimmen, die er in seiner Jugend um sich vernommen hatte, waren verstummt. Die jetzigen Bewohner der Stadt waren zur Welt gekommen, als er schon längst in Ruths Haus lebte. Für sie gehörte er zur Gegend. Doch da sie durch ihre Eltern Bescheid wußten, grüßten sie ihn, wenn er den Jahrmarkt oder ein Kostümfest der Feuerwehr besuchte oder einer Versammlung der Schulbehörde beiwohnte, auf etwas andere Weise als ihresgleichen. Manchmal freute er sich über diesen Unterschied, manchmal vermittelte er ihm ein Gefühl der Einsamkeit.
Heute, auf dem Hügelhang, fühlte er sich einsam. Er hatte das Getriebe der Welt versäumt. Er wußte davon. Jill schrieb ihm darüber, denn sie lebte nun in dieser Welt. Ihre Briefe kamen aus allen Teilen des Landes und aus halb Europa. Augenblicklich machte sie eine Reise nach Südamerika. Die Leute sprachen viel von Südamerika, schrieb sie, weil die Vereinigten Staaten im Falle eines neuen Weltkriegs Verbündete im Süden haben müßten.
Jill hatte nicht geheiratet, auch nach Elises Tod nicht.
Heutzutage fuhr jedermann Auto; er und Ruth hatten allerdings keins angeschafft. Ruth begab sich jeden Sonntag in Joels Wagen zur Kirche, und William war dann unglücklich, bis Ruth wieder heimkehrte.
Eine dumme Todesart, fand er. Er dachte jetzt, im Alter, viel über den Tod nach, doch weniger über den Tod selbst als über das, was nachher kam. Er hielt den Tod für einen Teil des Lebens, für das Ende eines Dinges und den Anfang eines anderen. Jedenfalls wußte Elise jetzt besser darüber Bescheid als er, obwohl ihr etwas, das er ihr einst, als ihr jüngster Sohn im Krieg gefallen war, geschrieben, solchen Trost gebracht hatte. Er erinnerte sich an den Namen des Sohnes nicht mehr. An den des älteren erinnerte er sich, weil Jill von ihm genauso sprach, als ob sie ihn geheiratet hätte. Er war überzeugt, daß sie den Leuten sagte, sie sei zumindest mit Don verlobt gewesen. Sie war jetzt mittleren Alters, und soviel er wußte, hatte sie nie einen Geliebten gehabt. Sie hatte viel Erfolg errungen, war immer noch erfolgreich, wenn er dem neumodischen Apparat trauen durfte, den seine Enkel ihm zu Weihnachten geschenkt hatten. Erst am letzten Sonntagmittag hatte er, als er auf den Knopf drückte, einen Ansager seine Tochter als den größten amerikanischen Alt verkünden hören, und dann war Jills tiefe Stimme im Zimmer erklungen – etwas gekünstelt, fand er. Sie nannte sich Judith, weil der Name Jill zu wenig Achtung einflößte, wie sie sagte. Judith paßte besser zu ihr, das mußte er zugeben. Sie war schlank, aber groß, voller Ausgewogenheit und Anmut, und wenn man dem, was man in den Zeitungen las, glauben
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