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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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Handflächen aus, aber ihre Hände entschlüpften nicht. Der Höhepunkt des Schmerzes war überschritten.
    »Du bist stark … wie immer …«, keuchte er.
    »Ich muß es sein«, gab sie zurück.
    Aber sie war gütig auf ihre temperamentvolle Art. Sie kannte den Ablauf seiner Anfälle. Gerade im richtigen Augenblick verabreichte sie ihm die Tabletten, gerade im richtigen Augenblick bewegte sie seine Arme und Beine, so, daß er seinen Körper als lebend empfand, rieb ihn ab, und dann flößte sie ihm etwas heiße Milch ein und deckte ihn gegen den unvermeidlichen Schüttelfrost zu, der ihn überfiel, wenn der Schmerz verklungen war.
    »Jetzt mußt du schlafen«, sagte sie freundlicher, als sie bislang gesprochen hatte.
    Dieser Anfall war schlimmer als sonst gewesen, dachte sie.
    »Vielleicht wirst du eines Tages deiner alten Frau glauben«, sagte sie mit scheltender Zärtlichkeit.
    Sie bückte sich und küßte seine aschgrauen Wangen, und sie merkte, daß ihr plötzlich Tränen in die Augen stiegen.
    Sie liebte ihn immer noch, obwohl sie sich so sehr über ihn ärgern mußte und obwohl sie mitunter dachte, sie sei eigentlich nie wirklich glücklich mit ihm gewesen. Er schien so sanft, aber im Grunde war er eigensinnig. Es ließ ihn gleichgültig, was die meisten Menschen rings um ihn trieben; er tat gleichwohl nichts. Nicht einmal einen Nagel mochte er einschlagen oder einen Fensterladen, der im Winde klapperte, befestigen. Sie mußte alles und jedes machen. Einst hatte sie gewünscht, daß er melken lernte. Aber er hatte sich gesträubt.
    »Ich kann das nicht«, war alles, was er sagte.
    »Jemand muß es tun«, hatte sie erwidert.
    »Entschuldige vielmals.« Das war alles, was er immer sagte, wenn er ihr etwas verweigerte. Er bedauerte seine Untauglichkeit wirklich, das wußte sie, aber er schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, daß er sich ändern könnte. Und sie hatte gelernt, ohne seine Hilfe mit allem fertig zu werden, weil sie ihn liebte, stets von jenem tiefen Unbehagen erfüllt, daß ihm ihre Liebe vielleicht nicht genügte. Aber sie war alles, was Ruth hatte.
    Er schlug die umschatteten Augen auf, als ob sie von ihrer Liebe gesprochen hätte.
    »Du könntest mich sterben lassen, wenn ich dir zuviel Mühe mache«, sagte er mit schwachem Mutwillen.
    »Du machst mir arg viel Mühe«, antwortete Ruth. »Aber du bist alles, was ich habe, und ich muß mich mit dir abfinden.«
    Er lächelte; er wußte, daß dies ihre Art war, ihre Liebe zu gestehen.
    »Jetzt schläfst du aber sofort«, sagte sie streng.
    »Ich kann nicht«, sagte er bittend. Er konnte nie gleich einschlafen. »Stell ein bißchen Musik ein, Ruth.«
    »Du solltest …«
    »Ach, bitte!« flüsterte er.
    Da stellte sie den Radioapparat ein, den er neben dem Bett stehen hatte. Aus der Luft dröhnte eine Stimme ins Zimmer: »Heute ist der Krieg zwischen England und Deutschland erklärt worden. Die französischen Truppen sammeln sich hinter der Maginotlinie …«
    »Wieder Krieg!« hauchte er entsetzt.
    Er hatte das seit Tagen erwartet, wissend, daß er kommen mußte, aber es vergessen, wie er jetzt so vieles vergaß, manchmal für Stunden. Nun war sie wieder da, diese äußerste Dummheit der Menschheit, die sich darauf vorbereitete, junge Menschen wie Henry wegzuraffen!
    »O Gott!« stöhnte er und verlor in einem erneuten Schmerzensanfall das Bewußtsein.
    Niemand in Frankreich glaubte, daß Paris ernstlich bombardiert werden würde. Im vorigen Krieg, ja, natürlich, doch jetzt gab es die Maginotlinie. Trotzdem fühlte sich Mimi, die an dem Tage, an dem Bomben auf Paris niederfielen, als Fünfzehnjährige mit all ihren Kameradinnen und den Nonnen in die Klosterkapelle gelaufen war, um zu beten, bis der Schrecken ein Ende gefunden hatte, in ihrer sauberen kleinen Wohnung, die ihr Stolz war und ihren Tag ausfüllte, an diesem sonnigen Septembermorgen auch nicht so recht behaglich.
    Allerdings verbarg sie ihr Unbehagen vor Hal, der auf einen zweitägigen Urlaub heimgekommen war. Sie hegte die Ansicht, daß eine Frau ihren Mann glücklich machen sollte, und sie unterwarf sich ihrem Gatten völlig, wenn er sich zu Hause befand, zügelte ihr Temperament, hielt ihre Nervenanfälle und Angstausbrüche zurück, bis sie mit ihren Töchtern allein war. Hal sah infolgedessen kräftig und fröhlich aus, aber Germaine und Angele waren blasse, müde dreinblickende kleine Mädchen mit scheuen grauen Augen. Keine von beiden zeichnete sich durch Schönheit aus

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