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Eine Luege ist nicht genug

Titel: Eine Luege ist nicht genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Gratz
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Schlimmeres.

Sechstes Kapitel

    Mit einem schlafenden Betrunkenen rumzuhängen, ist genauso lustig, wie jemandem beim Staubsaugen zuzusehen, und so ging ich nach draußen. Die Sonne schien, weiße Wolken sprenkelten den hohen blauen Himmel, und der Kiefernduft wäre fast zu bemerken gewesen, wenn der Wind nicht den Gestank von der Papierfabrik herübergetragen hätte, der einem die Nase zerfraß.
    Ein glänzender, schwarzer Landrover kam vorgefahren und parkte am Fuß der Betonstufen, die zum Vordereingang führten. Ich erwartete, dass eine Horde von Angestellten angerannt kam, doch niemand ließ sich blicken. Stattdessen kletterte ein schick angezogener hispanischer Typ an der Fahrerseite heraus und stolzierte über den knirschenden Kies vorne um die Geländelimousine herum. Er trug ein maßgeschneidertes Cowboyhemd, schwarze Lederhosen und Stiefel, die eindeutig aus der Haut von etwas gemacht waren, das einmal herumgekrochen war. Er hatte sogar ein rotes Halstuch umgebunden. Der Mann sah aus, als wäre er geradewegs einem Broadwaymusical entstiegen.
    Der Gaucho blieb vor mir stehen und blickte die Stufen hoch, als wäre ich gar nicht da. Ich schaute mich um, um zu sehen, was er da anblickte, doch wir waren die beiden einzigen Menschen hier. Als ich wieder zu ihm hinsah, musterte er mich von oben bis unten, die eine Hand in die Hüfte gestemmt und das Gesicht verkniffen, als würde hier etwas noch schlimmer stinken als die Papierfabrik.
    »Zieht dich deine Mutter an?«, fragte er.
    Das war ein starkes Stück, vor allem, wenn es von einem Typ kam, der aussah wie Howdy Doody, die berühmte Marionette in Cowboyklamotten. Ich lächelte ihn schief an.
    »W enn du das Rodeo suchst«, sagte ich ihm, »ich glaube, das ist schon aus der Stadt weitergezogen.«
    Die Zungenspitze des Gauchos schlüpfte zwischen den Lippen hervor, und er berührte sie mit der Spitze des kleinen Fingers, als wäre da etwas Leckeres dran, doch seine Augen lächelten nicht. Ich vergrub meine Hände in den Taschen und wir standen da, starrten uns an und warteten, wer als Erster blinzeln müsste, bis ich hörte, wie die Haustür hinter mir geöffnet und wieder geschlossen wurde, gefolgt vom Klacken hoher Absätze auf den Stufen.
    Mrs Prince unterbrach unseren kleinen Zweikampf. »Hallo, Horatio.« Sie wandte sich an den Gaucho. »Danke, Candy.«
    Der Gaucho schaltete komplett um und war plötzlich nur noch ein einziges Lächeln. » De nada , Miss Trudy.« Er zog den Wagenschlüssel aus der Tasche und übergab ihn ihr.
    Ich blinzelte. Candy, der Cowboy, war einer von den Angestellten.
    Mrs Prince kramte in ihrer Handtasche, und Candy schlängelte sich mit einem kalten Blick an mir vorbei. Ich drehte mich um und sah ihm nach, wie er die Stufen hoch ins Haus ging, und konnte ihm plötzlich nicht mehr so problemlos den Rücken zukehren.
    Ich habe schon früher Freunde mit Hauspersonal besucht und das ist immer sehr seltsam für mich. Ich versuche dann, meine Jacke selbst aufzuhängen oder meinen Wagen selbst zu holen, doch sie lassen mich nicht. Als wäre das gegen die Regeln. Ich frage mich immer, wie das Leben für jemanden ist, dessen Arbeit darin besteht, Menschen von vorne bis hinten zu bedienen. Welchen Teil von sich selbst muss man verdrängen können, um nicht einen Drink in den Schoß der Hausherrin zu kippen, wenn sie mal wieder zickig ist? Oder vielleicht müssen sie gar nichts verdrängen. Vielleicht verwandeln sie einen Teil von sich in etwas Kaltes und Hartes, etwas, das bis zum Ende ihrer Tage an ihnen nagt.
    Mrs Prince hatte gefunden, was auch immer sie gesucht haben mochte, und jetzt wartete sie darauf, mit mir zu reden. Sie war anders angezogen als bei der Testamentsverlesung. Nun trug sie einen schmal geschnittenen, hellen Hosenanzug mit einer knapp sitzenden Bluse, die ihr eindeutig schmeichelte, und wieder einmal musste ich mich ermahnen, daran zu denken, das sie die Mutter meines besten Freundes war.
    »Es tut mit leid wegen vorhin«, sagte sie.
    Ich ging davon aus, dass sie von der Testamentsverlesung sprach.
    »Mir auch«, antwortete ich. »Ich hätte nicht dabei sein sollen, aber Hamilton …«
    »Ja«, sagte sie. »Hamilton.«
    Die wenigen Male, die ich die beiden vor der zweiten Heirat zusammen gesehen hatte, waren Hamilton und seine Mutter großartig miteinander ausgekommen. Übrigens waren sie sich auch ziemlich ähnlich – beide blond mit blauen Augen, eingetragene Mitglieder im Klub der schönen Menschen. Für schöne

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