Eine Luege ist nicht genug
Beifahrersitz.
»Meine Mutter hat gesagt, ich soll nie bei Fremden einsteigen«, verkündete ich.
Sie grinste dreckig. »Na, dann müssen wir beide uns ja nur ein bisschen besser kennen lernen, oder?«
Siebtes Kapitel
Fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten kreuzten wir über die Nebenstraßen von Ost-Tennessee und sagten beide kein einziges Wort. Auf den geraden Strecken klapperte der Jeep ein bisschen und die Bremsen kreischten in den Kurven, aber es sah so aus, als könnten wir auf einen der riesigen grünen Berge vor uns kommen, ohne eine Radmutter zu verlieren. Wenn es in dem Auto je eine Stereoanlage gegeben hatte, war sie verscherbelt worden, aber man hätte sowieso nichts hören wollen. Es lag so viel Musik im Rauschen der Luft und der Andeutung von fließendem Wasser in der Nähe. Das Verdeck war unten, die Türen fehlten, und nichts trennte mich von der rasch vorbeiziehenden Landschaft außer einem abgewetzten alten Sicherheitsgurt.
Die Räder ratterten über eine einfache Holzbrücke mit niedrigem Geländer, und Olivia hielt ungefähr da in der Mitte an, wo der Fluss unter uns floss.
»Du musst nicht anhalten«, sagte ich. »W ir könnten einfach so weiterfahren, bis es Zeit ist, aufs College zu gehen.«
Ihr war klar, dass ich keinen Quatsch machte. Sie lächelte und zog die Handbremse an.
»Komm, ich will dir was zeigen.«
Ich stieg aus und ging um den Jeep herum zu ihr. Unter uns floss ein herrlicher kleiner Fluss, eines dieser makellosen Bilderbuchbergflüsschen, die die Kulisse für Bierwerbung abgeben.
»Du hast gesagt, du würdest gerne den Copenhagen River sehen«, sagte sie. »Hier ist er. Um das zu erhalten, kämpfe ich.«
Ein Fisch schwamm unten vorbei – ein tatsächlich waschechter Fisch, so lang wie mein Arm.
»W arst du schon mal Nachtangeln?«, fragte sie mich.
»Die paar Mal, die ich angeln war, kann ich an einer Hand abzählen. Das war Tagangeln. Ich hab nicht gewusst, dass es auch noch eine andere Art gibt.«
»V ielleicht kommst du mal an einem Abend mit mir her.«
»W ie siehst du dann, was du machst?«
Olivia schenkte mir ein kleines Lächeln. »Also, du musst ziemlich oft deine Hände gebrauchen.«
Sie kämpfte sich mit einer dieser Hände in die Tasche ihrer engen Jeans und zog einen glänzenden neuen Penny heraus, vergewisserte sich, dass ich zusah, und ließ ihn ins Wasser fallen. Auf dem Weg zu den runden grauen Steinen am Grund des Flüsschens drehte und wendete er sich in der Strömung.
»Ich finde, dass der Fluss ganz schön sauber aussieht. Erstaunlich sauber.«
»Das kommt daher, dass wir flussaufwärts von Elsinore sind.«
Olivia kletterte wieder in den Jeep, ich hinterher. Wieder fuhren wir, und der Fluss schlängelte sich in den Wald neben uns hinein und wieder heraus wie ein glücklicher Hund. Der Tag war so schön, dass man den Gestank fast vergessen konnte. Fast.
Denn obwohl das eigentlich gar nicht möglich schien, wurde der Gestank noch schlimmer. Über den Schaltknüppel weg sah mich Olivia fragend an, ob ich das auch bemerkte. Meine tränenden Augen waren ihr Antwort genug. Sie bog von der Hauptstraße in einen überwucherten, nicht gekennzeichneten und nicht asphaltierten Weg ab, der zum Fluss führte. Nach ein paar Metern stellte sie den Motor ab und deutete nach vorne. Es roch dermaßen schlecht, dass keiner von uns den Mund aufmachen wollte, um etwas zu sagen.
Ich schob mich durch das Brombeergestrüpp zwischen den verkümmerten Bäumen, bis ich das Wasser sehen konnte – oder was stattdessen vorbeifloss. Es sah aus wie ein Fluss aus Cola. Eine dunkelbraune Brühe quirlte weißen Schaum auf, der sich an den Felsbrocken brach. Fahle Schaumklumpen trieben an der Oberfläche wie Nacktschnecken dahin. Dass irgendetwas in den schmutzigen Tiefen darunter leben konnte, schien völlig ausgeschlossen.
Meine Augen brannten. »Ach du heilige Scheiße!«, murmelte ich.
Olivia war schlau genug gewesen, sich ein Taschentuch mitzubringen, um sich Mund und Nase zu bedecken, aber mich ließ sie den Copenhagen River volle Kanne erleben. Warum auch nicht? Sie hatte mich an den Fluss gebracht, um mich zu ihrer Religion zu bekehren, und nun war ich total bekehrt.
»Und das macht Elsinore Paper?«, fragte ich hustend.
Sie deutete auf eine aufgewühlte sprudelnde Stelle im Fluss, wo sich die Jauche wie ein Springbrunnen über die Oberfläche hob. Und da war auch die große Röhre gut zu sehen, die sich durch den Wald auf die Fabrik zuschlängelte.
Olivia
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