Eine Luege ist nicht genug
nahm meine Hand und führte mich zurück zum Jeep, wo ich mich in meinen Sitz plumpsen ließ. Die ganze Begeisterung darüber, auch den Rückweg mit offenem Verdeck zu fahren, war plötzlich weg und von dem drängenden Bedürfnis ersetzt, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen. Als wir losfuhren, ließ sie es auf der Straße ruhig angehen, und ich konnte es vermeiden, Erbrochenes um mich zu verschleudern. Dann ließ mein Brechreiz allmählich nach.
»Das war das Ekelhafteste, was ich je gesehen hab«, sagte ich, als ich dazu wieder in der Lage war. »Oder geschmeckt hab.« Ich rieb mir Lippen und Zunge und versuchte verzweifelt, den Nachgeschmack der Luft auf beidem loszuwerden. Als ich fünf war, hatte ich aus Versehen aus einer Sprudelflasche getrunken, in der altes Motoröl war, doch das war lange nicht so schlimm gewesen.
»Es geht einfach nicht, dass heutzutage eine Firma wie Elsinore Paper an einem so kleinen Fluss wie dem Copenhagen eine Fabrik betreibt«, erklärte mir Olivia. »V or hundert Jahren war es eine kleine Papierfabrik an einem kleinen Fluss. Doch Elsinore Paper ist gewachsen, der Copenhagen aber nicht. Heute würden sie eine Fabrik dieser Größe am Mississippi bauen und denselben Scheiß ablassen wie hier. Aber weil der Mississippi so groß ist, würde es sich besser vermischen. Derselbe Scheiß, nur schwerer zu sehen. Hier gibt es keine Möglichkeit, ihn zu verstecken.«
»W ie können sie damit durchkommen?«
»W er will sie denn aufhalten? Hamiltons Vater hat gesagt, es würde so viel kosten, die Abwässer zu klären, dass er genauso gut dichtmachen könnte. Die Papierfabrik beschäftigt fast zweitausend Leute, ganz zu schweigen von den Läden und Kneipen, die auf jeden angewiesen sind, der Geld ausgeben kann. Es leben nur ungefähr viertausend Menschen in Denmark, Tennessee. Was meinst du wohl, wie viele von denen dafür stimmen würden, Elsinore dazu zu bringen, ihren Kram sauber herzustellen, wenn das bedeuten würde, dass sie ihre Arbeit verlieren?«
»Glaubst du ihm? Mr Prince? Dass er die Fabrik hätte schließen müssen?«
»Ich glaube, das ist Bockmist. Er hätte das Zeug reinigen können, ohne dichtzumachen. Er wollte einfach das Geld nicht ausgeben, wenn es nicht unbedingt sein musste.«
Olivia bog in eine Kombination aus Tankstelle, Minimarkt und Poststelle ein und stellte den Wagen so, dass ich sehen konnte, wo wir waren.
»W as ist das?«, fragte ich.
»Eigentlich heißt es Jackson Hollow, doch alle in der Gegend hier nennen es Witwendorf.«
Witwendorf war eine kleine Reihe von baufälligen Häusern und verlassenen Gebäuden. Es war eine Sackgasse, an deren Ende ein zugewucherter Platz voller durchgerosteter Eisenbahnwaggons stand. Die vierspurige Kreuzung hier brauchte nicht einmal eine Ampel, und in der ganzen Zeit, die wir hier standen, kam nicht ein einziger Wagen vorbeigefahren.
»W ohnt hier überhaupt jemand?«, fragte ich.
»Rund fünfzig Leute vielleicht. Dazu noch ein paar in den Hügeln. Hier haben früher die Holzfäller gewohnt, damals, als die Fabrik noch klein genug war, um das Holz aus der Umgebung zu nutzen. Jetzt zersägen sie die Wälder der Nationalparks im Westen und transportieren das Holz mit der Bahn her.« Olivia beugte sich über das Lenkrad. »Hier in diesem Ort gibt es Familien, die über drei Generationen für Elsinore Paper gearbeitet haben. Jetzt müssen sie dafür bezahlen. Fast alle Männer, die jahrzehntelang bei Elsinore gearbeitet haben, sind tot.«
»Alle? An was sind sie gestorben?«
»Krebs.«
Zum zweiten Mal hatte nun jemand eine meiner Fragen mit »Krebs« beantwortet und ich wurde ein bisschen kribbelig.
»V or ein paar Jahren hat es eine Untersuchung gegeben«, erzählte sie. »Ein paar Wissenschaftler sind von Duke rübergekommen und haben eine Bevölkerungsanalyse gemacht. Sie haben gesagt, die Todesrate durch Krebs wäre hier nicht anders als sonst auch im Land. Aber wie viele Männer haben Krebs bekommen, nachdem die Doktoren wieder weg waren? Wie viele sind schon gestorben, ohne zu wissen, was sie umgebracht hat? Im Ernst – wo sind all die Männer? Hier ist nur noch eine Handvoll übrig. Die heutigen Generationen wohnen auf der anderen Seite des Bergs, weiter weg vom Fluss. Aber diese Männer hier haben ihr Leben lang in der Fabrik gearbeitet, haben die Nächte schlafend neben dem Fluss verbracht, und jetzt sind sie tot. Man kann mir nicht weismachen, der Fluss hätte sie nicht umgebracht.«
»Das Wasser haben sie
Weitere Kostenlose Bücher