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Eine Luege ist nicht genug

Titel: Eine Luege ist nicht genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Gratz
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noch eine Menge Fragen zum Tod seines Vaters.«
    »W irklich? Aber wir haben ihm alles erzählt, was wir wissen. Wir haben nichts vor ihm …«
    »Und was ist damit, wie Hamiltons Vater am Ende ausgesehen hat? Sein Gesicht und seine Haut?«
    Mrs Prince legte ihre zitternde Hand vor den Mund und keuchte. »Aber woher wusste er … Kein Wunder, dass er mich hasst.« Sie fing an zu weinen, und ich dachte, ich sollte mir angewöhnen, immer ein Taschentuch dabei zu haben. In der letzten Zeit hatte ich offenbar eine Art an mir, die Frauen dazu motivierte, ihr Wasserwerk zu aktivieren.
    »Das war alles Claudes Idee«, sagte sie unter Tränen, und einen Augenblick glaubte ich, sie wollte ein Geständnis ablegen. »Rex wollte nicht, dass ich wusste, dass er krank war, doch wie hätte ich das nicht bemerken sollen, jedes Mal, wenn ich ihn ansah? Wir beide wussten, dass er sehr krank war. Seine Haut wurde grau und seine Haare wurden weiß. Es war, als wäre er in vier Monaten um vierzig Jahre gealtert. Und gegen Ende sah er aus wie ein Geist.«
    Da hatte sie absolut recht.
    »Aber Claude hat gesagt, wenn Rex so tun will, als wäre er nicht krank, warum sollte ich dann nicht mitspielen? Rex ist zu den Ärzten gegangen und hat alles getan, damit es ihm besser ging, also warum sollte ich das ansprechen? Er wollte nicht darüber reden und ich wollte nicht darüber reden. Ich schäme mich, das zu sagen, aber … aber ich wollte auch so tun, als wäre nichts. Claude hat mir gesagt, ich sollte einfach die Zeit genießen, die ich noch mit ihm hätte, und das habe ich dann auch getan.«
    Wenn ich zusehen müsste, wie jemand, den ich liebe – meine Eltern oder meine Schwestern zum Beispiel –, langsam stirbt, würde ich die Ärzte verfluchen und den Mond anheulen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich nichts sagen, nichts unternehmen würde, und ich wusste, dass es bei Hamilton genauso war.
    »Haben Sie ihm deshalb nichts erzählt? Hamilton, meine ich.«
    Mrs Prince tupfte sich die Tränen von den Augen, ehe sie die Wimperntusche ruinieren konnten. »Er wäre doch bloß von der Schule nach Hause gekommen und hätte eine große Sache daraus gemacht. Und das Letzte, was sein Vater brauchte, war eine ständige Erinnerung daran, dass er krank war. Außerdem dachte ich, es würde Hamilton einiges an Schmerz ersparen. Jetzt denke ich, dass das ein Fehler war.«
    Es fiel mir ein bisschen schwer zu glauben, dass sie und Hamiltons Vater wirklich nie darüber gesprochen hatten, aber wenigstens hatte ich jetzt eine Antwort.
    »Und Claude war Ihnen eine richtige Stütze, oder?«
    »Er war alles für mich. Wenn Rex zur Arbeit gegangen war, kam Claude rüber, und ich konnte mich an seiner Schulter ausweinen. Er war ein Fels und ich klammerte mich an ihn. Er hat mir geholfen, das mit der Krankheit alles durchzustehen.« Mrs Prince schraubte die bereits zugeschraubte Flasche zu. »Und dann, nach Rex’ Tod, hat Claude mir gestanden, wie sehr er schon immer in mich verliebt war, seit Rex mich aus dem College mit nach Hause gebracht hatte. Er fuhr mit mir zu einem Felsvorsprung hoch über der Stadt, dieselbe Stelle, zu der mich auch Rex mitgenommen hatte, als ich das erste Mal nach Denmark gekommen war, und fragte mich dort, ob ich ihn heiraten würde.«
    »Ja, ich verstehe, das ist eine sehr beliebte Stelle«, bemerkte ich.
    Mrs Prince drehte sich zu mir. »Es war schon irgendwie richtig, dass er mich zu dieser Stelle gebracht hat, die ich immer mit Rex verbunden habe. Rex hat einen so großen Platz in meinem Leben eingenommen, und nun war er gegangen, und ich hatte das Gefühl, ich könnte nicht weiterleben, da ich nichts hatte, um diese Leere zu füllen. Und da war dann der liebe süße Claude. Claude, der mir so sehr geholfen hatte. Claude, der mich bereits kannte und liebte. Der einzige andere Mensch, der vielleicht hätte helfen können, war Hamilton, und der war weg, auf der Schule.«
    »Das können Sie ihm nicht vorwerfen«, warf ich ein.
    »Das mache ich auch nicht, Horatio. Ich werfe ihm gar nichts vor.« Sie schaute weg. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, warum ich dir das eigentlich alles erzähle. Kann ich mich wenigstens verständlich machen?«
    Ich verstand schon, was sie sagte, auch wenn ich das so nicht hätte zugeben können. Ich stand eben auf Hamiltons Seite.
    »Ich hatte sogar schon daran gedacht, mich umzubringen«, erzählte Mrs Prince weiter. »Claude hat mich davor bewahrt. Also, er ist nicht reingekommen und hat mir das

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