Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Luege ist nicht genug

Titel: Eine Luege ist nicht genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Gratz
Vom Netzwerk:
hätte, und ich schloss die Augen und seufzte. Doch da musste ich durch. Wenn ich es jetzt nicht machte, hatte ich morgen doppelt so viele Nachrichten abzuhören.
    »Horatio, wo bist du? Mom sagt, du wärst in Dänemark, stimmt das? Wann hast du dich für das internationale Austauschprogramm beworben? Jedenfalls, wenn du bald zurück bist, dann ist hier ein echt süßer Referendar von der James Agee High School bei der Zeitung. Ich denke, ihr Typen werdet euch gut verstehen.« Das kam von meiner Schwester Desdemona, die absolut kein Glück mit Männern hat, und ich war mir sehr im Zweifel, ob sie da auf meinen neuen Seelenfreund gestoßen war. »Ruf an, wenn du zurück bist!«, meinte sie noch.
    Löschen.
    »›Was für ein Meisterwerk ist der Mensch!‹« Meine Mom. Die Professorin für englische Literatur. » › Wie edel an Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten, an Schönheit und Beweglichkeit! Wie bewundernswert vollkommen in Tätigkeit! Wie ähnlich einem Engel an Auffassungsgabe, wie ähnlich einem Gott.‹ Und trotzdem machst du dir nicht einmal die Mühe, deine Mutter anzurufen, wenn du zu Hamilton fährst. Bis du endlich mal anrufst, muss ich annehmen, dass du dich in einem zerknautschten Stück Metall auf der Straße zu Tode blutest.«
    Löschen.
    »He, Horatio. Hier ist Juliet. Ich stelle meine Arbeiten in einer Studentengalerie auf dem Campus aus. Wo bist du? Die Eröffnung ist morgen Abend. Viele hippe Collegemädels, die auf Künstlerin machen, werden da sein, und die stehen echt auf deine edelsarkastische Masche …«
    Löschen.
    »Pujol war wieder mal ungeheuer stark. So was von schön.« Dad. Von ihm hab ich mein Baseball-Gen geerbt. »Kriegst du da, wo du bist, die Spiele der Cardinals? Holland oder wo auch immer? Einer von den anderen Fantasie-Baseball-Besitzern hat ein Angebot gemacht, das ich kurz mit dir besprechen möchte. Ruf mich an.«
    Speichern.
    »Horatio, hier ist noch mal Desdemona …«
    Löschen.
    Alles in allem bin ich damit davongekommen, dass mich sechs meiner acht Familienangehörigen angerufen haben, was wenig war. Die meisten von ihnen dachten, ich wäre irgendwo in Europa, aber selbst da hätten sie mich schließlich aufgestöbert. Ich löschte noch die übrigen Anrufe, dann rief ich Dad an, um mich in Sachen Baseball auf den neusten Stand bringen zu lassen, und ließ ihn Verschwiegenheit schwören. Danach stellte ich den Hörer mit zarter, wenn nicht sogar raffinierter Anmut wieder auf seinen Sockel und ging zurück ins Fernsehzimmer.
    Auch Hamilton war in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht. Er saß auf dem Boden mit dem Rücken zu Couch, auf der sich Roscoe und Gilbert niedergelassen hatten. Er war gegen einen von ihnen – Roscoe? – in Madden Football angetreten und spielte in jeder Hinsicht schlampig, was für mich der erste Hinweis war, dass irgendwas nicht stimmte. Hamilton hat noch nie ein Spiel verloren. Ich setzte mich, nahm einen Schluck von meinem unmännlichen Bier und sah zu. Hamilton scrollte mit der einen Hand durch das Spielzugbuch, während er mit der anderen einen Schluck direkt aus der Wodkaflasche nahm. Dann holte er einen weiteren Punkt, ließ anschließend aber seine Spieler für ein paar Sekunden auf die falsche Endzone zulaufen, was Roscoe und Gilbert unglaublich amüsierte.
    »Mann, du bist ja so was von besoffen!«, sagte einer von den beiden lachend. Hamilton trank noch einen Schluck.
    »W as habt ihr Jungs denn so alles angestellt?«, fragte Hamilton, die Augen weiter auf den Bildschirm gerichtet. »Ich hab euch ja so … ewig nicht gesehen.«
    Der Fette zuckte mit den Schultern. »W ie immer, denke ich mal. Rumgehangen. Fernsehen geguckt. Poolbillard gespielt und so.«
    »W as macht ihr, wenn ihr den Abschluss habt?«
    Ich beschloss, ihnen einfach Namen zuzuordnen; egal, wer nun wer war. »Ich denk mal, ich brech ab. Mach meinen Doktor in Philosophie«, sagte der eine, den ich Roscoe nannte. Ich musste mich schwer beherrschen, nicht um meine Generation zu weinen.
    »Du meinst wohl den zweiten Bildungsweg?«, fragte Hamilton.
    »W as auch immer.«
    »Ich weiß nicht,« sagte Gilbert mit einem Schulterzucken. »W ahrscheinlich arbeiten wir dann in der Fabrik wie alle anderen auch.« Er warf seinem Kumpel hinter Hamiltons Kopf einen Blick zu, und dann sagte er zu Hamilton: »Ich schätze, bei dir müssen wir nicht fragen, was du mal machst.«
    Hamilton nahm noch einen Schluck aus der Flasche. »Du meinst, ihr wisst alles über meine Pläne, nach

Weitere Kostenlose Bücher