Eine Luege ist nicht genug
einen Notizblock, auf dem für eine blaue Pille mit lustigem Namen geworben wurde, und reichte mir den Zettel über den Tisch.
»Dr. Henry Lapham«, sagte sie. »Er ist aber erst nächste Woche wieder hier.«
»Danke.« Ich schniefte wieder, damit die Wirkung nicht nachließ. »Ich war so durcheinander. Ich hab einfach nicht denken können.«
»Das ist oft so«, meinte sie. »Ruf sein Büro an und dann könnt ihr reden.«
Ich dankte ihr noch mal und schniefte weiter, bis ich um die Ecke war, dann ging ich zielstrebig durch den Gang auf einen Raum zu, an dem ich vorhin vorbeigekommen war. Auf einem kleinen grünen Schild an der Wand stand »Aktenarchiv«. Ich schaute mich um, ob jemand in der Nähe war, dann schlüpfte ich hinein.
Während der letzten Präsidentschaftswahl hatte es ein großes Tamtam um die Verbesserung des Gesundheitswesens gegeben. Dazu gehörte offensichtlich die Idee, dass alle Krankenhäuser im Land sämtliche Krankenakten im Computer speichern sollten, damit sie jederzeit und überall eingesehen werden konnten. Zum Glück für mich ist in dieser Hinsicht nie etwas geschehen. Alle bewahren die Akten noch nach der alten Methode auf – als leicht zu klauende Papierordner.
Ich suchte die vom Boden bis zur Decke reichenden Regale ab und fand auch schnell das P. Diese Ordner mit regenbogenfarbenen Markierungen hatte ich schon oft hinter dem Empfangstisch meines Zahnarztes gesehen, doch erst als ich dicht davor stand, wurde mir klar, dass die Farben mit den verschiedenen Buchstaben des Alphabets zusammenhingen, vermutlich, damit die Medizinmänner sich schneller orientieren konnten. Und es funktionierte. Ich hatte die Akte Rex Prince im Nu gefunden. Sie war ganz schön dick und enthielt die Berichte, die von verschiedenen Ärzten über Jahre hinweg geschrieben worden waren.
Ich erspähte Dr. Henry Laphams Unterschrift unten auf ein oder zwei Seiten und wusste, dass es das war, wonach ich suchte. Ich überlegte kurz, ob ich die Seiten mitnehmen sollte, die ich brauchte, fand dann aber, dass sie herauszunehmen nur Zeit kosten würde. Und da Mr Prince seinen Arzt wohl kaum so schnell wieder aufsuchen würde, nahm ich einfach den ganzen Ordner.
Wenn man etwas stehlen will, besteht der Kniff darin, einfach so zu tun, als wäre alles ganz normal. Meine Schwester Miranda, die Streifenpolizistin in Knoxville ist, hat mir mal von zwei Dieben erzählt, die in einen Sportartikelladen gegangen sind, sich ein Kanu gegriffen und es ganz offen durch den Haupteingang rausgetragen haben. Überwachungskameras haben das aufgenommen und jede Menge Leute haben sie gesehen, aber sie sind damit durchgekommen, weil niemand dachte, dass sie es stehlen würden. Einer der Angestellten hatte ihnen sogar die Tür aufgehalten. Denn wer geht schon mit einem Kanu weg, ohne es bezahlt zu haben?
Die Farbcodierung auf dem Rücken des Ordners war das Einzige, was mich hätte verraten können, und so klemmte ich diesen Teil unter den Arm. Beim Gehen nickte ich einer Krankenschwester zu, summte vor mich hin und gab mich ganz locker. Der restliche Weg nach draußen und zu meinem Wagen verlief so glatt und problemlos, dass es die reine Freude war. Ich dachte nicht zum ersten Mal, dass ich, wenn ich nicht ein junger Mann von außergewöhnlicher Charakterstärke wäre, in dieser Welt viel Geld als Trickbetrüger verdienen könnte.
Zumindest war das etwas, auf das ich zurückgreifen konnte.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Ich fuhr zu einem Drive-in, um mir die erste richtige Mahlzeit an diesem Tag zu holen. Im Vergleich zu den beiden, die ich im Imbiss gegessen hatte, wo Olivia arbeitete, war dieser Burger hier ziemlich schlapp, aber immerhin essbar. Während ich über den medizinischen Ordner in meinem Schoß brütete, hielt ich nach dem Namen von Dr. Lapham Ausschau. Das Gekrakel auf den Blättern war nahezu unlesbar, doch ich hätte das, was ich mir ansah, auch nicht verstanden, wenn es ein Computerausdruck gewesen wäre, denn es war reines medizinisches Fachchinesisch. Nur ein Wort, das ich als Dioxin übersetzen konnte, schaffte es, hier und da aufzutauchen.
Olivias Arzt hatte ihr gesagt, das Flusswasser wäre zu ver-dünnt, um jemanden wirklich zu töten – jedenfalls auf die Schnelle. Mir fiel wieder ein, wie er gesagt hatte, fast in allem wäre Dioxin, und plötzlich verlor ich den Appetit auf meine restlichen Pommes. Und wenn nun Mr Prince tatsächlich an Krebs gestorben war – Krebs, verursacht durch ein hohes Maß an
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