Eine Marcelli geht aufs Ganze
Weg?«
»Ich bin vierunddreißig. Das ist noch ein gutes Alter. Ich kann keine zwölfjährige Tochter haben.« Sie zögerte. »Ich werde heiraten und nach Europa ziehen. Kelly kann nicht mit mir kommen. Ich wollte sie in ein Internat stecken, aber als ich ihr davon erzählt habe, ist sie ausgeflippt. Sie wollte alleine hier in der Wohnung bleiben. Sie tanzt Ballett, und das ist alles, was ihr etwas bedeutet. Ich nehme an, mit dem richtigen Personal ... aber ich konnte das nicht riskieren. Es müsste nur mal ein Notfall eintreten, und Raoul würde von ihr erfahren.«
Sam fluchte. »Du heiratest einen Mann, der noch nicht mal weiß, dass du eine Tochter hast?«
»Ich habe ihm nie von ihr erzählt. Ich war sehr darauf bedacht, diese beiden Teile meines Lebens strikt voneinander zu trennen.«
Sam fragte sich, was er jemals in Tanya gesehen hatte. Dann erinnerte er sich. Er war zweiundzwanzig gewesen, frisch aus dem College und allein im Ausland. Tanya war wunderschön gewesen, charmant und der wahr gewordene Männertraum.
»Ich habe bei der Kanzlei deiner Mutter eine Nachricht hinterlassen, dass du jetzt das Sorgerecht für Kelly hast«, fuhr Tanya fort. »Sie werden den ganzen Papierkram erledigen. Ich habe mich die letzten zwölf Jahre um sie gekümmert, Sam. Jetzt bist du mal dran.«
»Damit verzichtest du auf das Geld«, sagte er sarkastisch.
»Ja, ich weiß. Ich kann es mir leisten. Und Kelly ist eigentlich ganz pflegeleicht. Schick' sie in einen Tanzkurs und auf eine Privatschule, und du wirst kaum merken, dass sie da ist.«
Er konnte die Abgebrühtheit seiner Ex nicht fassen. »Sie ist deine Tochter.«
»Stell mich jetzt nicht als Rabenmutter dar«, erwiderte Tanya. »Kelly ging es gut. Ihr hat es an nichts gefehlt.«
»Außer an den Eltern.«
Tanya lachte. »Ja, genau. Weil du vor zwölf Jahren ja auch überglücklich gewesen wärst, wenn du herausgefunden hättest, dass wir ein Kind bekommen. Du hast mich gehasst, Sam. Du wolltest mich aus deinem Leben haben und warst gewillt, jeden Preis dafür zu zahlen. Hier kommt jetzt also der letzte Teil der Rechnung. Ich lasse ihre Sachen zusammenpacken und per Kurier zu euch schicken. Sie müssten Ende der Woche eintreffen.«
»Das ist alles?«, fragte er.
»Was soll da noch sein?«
»Willst du nicht mit Kelly reden?«
»Nein. Und ich bezweifle, dass sie mit mir reden will.«
Damit legte sie auf.
Langsam legte Sam das Telefon auf den Tisch. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr. Es war noch keine zwanzig Minuten her, dass Kelly an der Tür geklingelt hatte. Zwanzig Minuten, in denen seine Welt vollkommen aus den Fugen geraten war. Und nun?
Sam kam in die Küche, wo Kelly gerade den letzten Bissen Enchiladas herunterschluckte. Francesca stand mit einem Glas Wein in der Hand an der Spüle. Er konnte es ihr nicht verdenken, auch wenn er etwas Stärkeres bevorzugen würde.
»Ich habe mit deiner Mutter gesprochen«, sagte er.
Kelly legte die Gabel weg und wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab, bevor sie sich ihm zuwandte. Ihre großen grünen Augen verrieten keinerlei Emotionen.
Er betrachtete sie genauer, suchte nach Ähnlichkeiten. Hoffte, sie in den hohen Wangenknochen zu finden oder in der Form ihres Mundes. Ihm selbst sah sie überhaupt nicht ähnlich. Konnte es sein, dass seine Exfrau log?
Nein, diese Theorie verwarf er gleich wieder. Tanya mochte zwar auf das schnelle Geld aus sein, aber sie war nicht dumm. Warum sollte sie versuchen, ihm das Kind eines anderen unterzuschieben? Sie wusste, dass er nur einen Vaterschaftstest durchführen lassen müsste. Wäre er nicht der Vater, würde er Tanya aufspüren und Kelly zu ihr zurückbringen. Wenn Tanya aber tatsächlich mit einem Mann wegzog, der nichts von Kellys Existenz ahnte, würde sie nicht riskieren, dass Sam plötzlich mit ihrem Kind vor der Tür stünde.
»Hat sie dir von Raoul erzählt?«, fragte Kelly. »Sein Vater ist irgendein zweitklassiger Graf oder so. Totaler Quatsch. Aber Tanya steht eben auf Titel, und Raoul ist der einzige Erbe. Sein Dad ist ziemlich alt, aber Raoul ist erst fünfundzwanzig. Sie werden einen Teil des Jahres in Paris wohnen und den anderen in irgend so einem großen Haus, das Raoul in Südfrankreich besitzt.«
»Sie hat nur erwähnt, dass sie ins Ausland ziehen wird.«
»Und dass du mich jetzt am Hals hast.«
Sie sagte das beiläufig, als wenn es ihr nichts ausmachte. Sam versuchte, hinter ihre Fassade zu schauen. Machte es einem zwölfjährigen Mädchen
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