Eine Marcelli geht aufs Ganze
Sofas und balancierte das Glas auf seinem flachen Bauch. »Zwölfjährige fliegen nicht auf eigene Faust quer durchs Land.«
»Diese schon. Kelly hat mir genau erklärt, wie sie es gemacht hat.« Francesca berichtete ihm von den Internetkäufen und dem vergessenen Trinkgeld für das Taxi.
»Sie ist einfallsreich«, gab er zu. »Unabhängig. Vorlaut.«
Und daran gewöhnt, dass jemand hinter ihr herräumt, dachte Francesca und sah wieder den benutzten Teller vor sich, den das Mädchen einfach auf dem Tresen hatte stehen lassen.
Sam trank einen Schluck. »Sie hat mir mitgeteilt, dass ihr Zimmer akzeptabel sei, sie aber einen DVD-Player benötige und sich, sobald sie sich hier eingerichtet hätte, mit mir über eine neue Inneneinrichtung unterhalten wolle.« Er warf Francesca einen Blick zu. »Offenbar ist Blau nicht ihre Farbe.«
»Sie hat keine Angst, zu sagen, was sie will.«
»Irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob das etwas Gutes ist.« Er schloss die Augen und atmete tief ein. »Eine Tochter. Nach all dieser Zeit.«
Francesca überlegte, dass das Ganze selbst für sie ein Schock gewesen war, dabei war sie nur eine unbeteiligte Zuschauerin. Sam musste sich fühlen, als wäre er von einem Truck überfahren worden.
»Wirst du einen Vaterschaftstest machen lassen?«, wollte sie wissen.
Er öffnete die Augen und schaute sie an. »Einen DNA-Test? Dran gedacht habe ich. Ich schätze, irgendwann werde ich es tun müssen. Aber obwohl Tanya keine Probleme hat, zu lügen, um ihren Willen durchzusetzen, ist sie dennoch nicht dumm. Sie weiß, dass ich kein Kind behalten würde, das nicht meins ist. Auf keinen Fall würde sie riskieren, dass ich Kelly zu ihr zurückbringe.« Er schüttelte den Kopf. »Ach, ich weiß auch nicht. Findest du, dass sie mir ähnlich sieht?«
»Ein wenig. Um den Mund herum. Aber die Haare hat sie definitiv nicht von dir.«
»Stimmt.« Er streckte die Beine aus. »Ich weiß nicht, was ich von alldem halten soll. Ich hatte ja keine Ahnung. Als Tanya damals gegangen ist – ich weiß nicht mehr viel, außer dass ich es kaum erwarten konnte, sie loszuwerden. Nach all den Jahren habe ich einfach nicht mit so etwas gerechnet.«
»Warum solltest du auch? Du hattest ja keine Ahnung. Sie hat auf der anderen Seite des Landes gelebt.«
»Guter Punkt.« Er nippte an seinem Drink. »Vermutlich sollte ich wütend sein oder so. Ich habe Kellys gesamte Kindheit verpasst. Aber ich fühl mich einfach nur leer.«
Sie beugte sich zu ihm hinüber und berührte sanft seinen Arm. »Sei nicht so streng mit dir. Im Moment fühlst du gar nichts, und das ist nicht schlecht. Es wird eine Weile dauern, bis du die Informationen alle verarbeitet hast, und dann werden auch die Gefühle kommen.«
Lächelnd sah er sie an. »Da spricht die Psychologin in dir.«
»Sicher, aber ab und zu muss ich die einfach mal rauslassen, sonst setzt sie noch Staub an.«
»Okay, Miss Psychologin. Was tue ich als Nächstes? Ist es psychologisch gesund, wenn ich weglaufe, so schnell ich kann?«
»Vermutlich nicht. Ich schätze, du musst einfach abwarten, was passiert, und dann spontan reagieren. Du und Kelly, ihr müsst euch erst mal kennenlernen. Das wird eine Zeit dauern.«
»Zeit, hm? Kannst du mir ungefähr sagen, von welcher Spanne wir hier reden?«
»Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung.«
»Ich auch nicht. Von gar nichts.« Sein Lächeln verblasste. »Die Schlampe hat sich dafür bezahlen lassen.«
Francesca brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was er meinte. »Tanya?«
Er nickte. »Meine Mutter hat sie dafür bezahlt, Kellys Existenz zu verheimlichen. Zweihundertfünfzigtausend als Anzahlung und fünftausend plus allgemeine Ausgaben pro Monat.«
Francesca musste ihre Lippen fest aufeinanderpressen, damit ihr nicht der Mund offen stehen blieb. »Aber warum würde sie sich ihrer eigenen Enkeltochter entledigen wollen?«
»Um das zu verstehen, müsstest du meine Mutter kennen.« Er nahm einen größeren Schluck. »Lily Reese hat es genossen, ihr Reich zu regieren, und sie tat alles, um ihre Untertanen in Schach zu halten. Mein Vater starb, als ich noch sehr jung war. Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Wenn Lily in der Nähe war, war ihr Wort Gesetz. Wenn sie nicht da war – wie meistens –, habe ich bei meinem Großvater väterlicherseits gewohnt. Bei Gabriel.«
»Der, für den du Elena angestellt hast.«
»Genau. Er war geistig gesund und vollkommen normal. Zwei Sachen, die man von meiner Mutter nicht behaupten
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