Eine Marcelli geht aufs Ganze
wirklich nichts aus, einfach so von der Mutter verlassen zu werden? Doch Kelly erwiderte seinen Blick ruhig, sie blinzelte kaum und zeigte keinerlei Gefühlsregung.
»Sie hat mir erzählt, dass du Ballett tanzt.« Er wollte auf den Teil, dass er sie jetzt ›am Hals‹ hatte, nicht näher eingehen.
»Offenbar gibt es hier in Santa Barbara eine angesehene Lehrerin«, schaltete Francesca sich ein. »Kelly hat ein wenig im Internet recherchiert.«
Kelly nickte. Ihre Locken hüpften. »Du wirst mir einen Termin zum Vortanzen verschaffen müssen. Ich habe meine Trainingssachen dabei, aber mehr auch nicht. Also muss ich wohl ein wenig shoppen gehen. Du kannst mich morgen früh an einer Mall rauslassen. Oder – kann ich nicht ein Taxi nehmen? Hier draußen gibt es doch Taxen, oder?«
Sam hob die Hand. »Ganz ruhig. Eines nach dem anderen. Deine Mutter hat veranlasst, dass deine Sachen hierher geschickt werden. Sie werden Ende der Woche da sein.«
Kelly verdrehte die Augen. »Und bis dahin soll ich was machen? Tanya hat nie erwähnt, dass du ein Geizhals bist.«
»Ich bin kein ...«
Er schüttelte den Kopf. Garantiert würde er sich nicht mit ihr übers Klamottenkaufen streiten. Es gab wichtigere Themen. Zum Beispiel die Schule. Ach nein. Es war ja Juni. Die Sommerferien hatten längst angefangen. Mist. Das bedeutete, sie wäre den ganzen Tag zu Hause. Konnte er eine Zwölfjährige allein lassen, während er zur Arbeit ging?
Er dachte daran, dass sie allein von New York nach Santa Barbara geflogen war. Sie allein lassen? Es sah eher so aus, als würde er sie einschließen müssen.
»Wir haben noch eine ganze Menge zu besprechen«, stellte er fest.
Kelly zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst. Ich will einfach nur direkt mit einem Ballettkurs weitermachen. Du kannst doch morgen früh da anrufen, oder? Ich habe die Nummer im Rucksack.«
Der Ballettunterricht würde sie beschäftigen – was vermutlich eine gute Idee war. »Ja. Ich ruf gleich morgen an.«
Kelly hüpfte vom Hocker. »Gut. Ich habe die Namen meiner Lehrer aufgeschrieben und wo ich schon unterrichtet worden bin. Du musst darauf achten, entschieden zu klingen, wenn du da anrufst. Tanzlehrer reagieren auf Druck von energischen Eltern. Außerdem solltest du vielleicht erwähnen, dass du reich bist. Das mögen sie auch.«
Je mehr sie sprach, desto mehr erkannte er seine Exfrau in ihr. »Danke für den Rat«, sagte er trocken.
»Gern geschehen.«
Sie verließ die Küche. Francesca trat an den Tresen und nahm den benutzten Teller. »Wenigstens ist sie kein Mauerblümchen«, murmelte sie, während sie Gabel, Teller und Glas zur Spüle trug.
»Bei dir klingt es, als wäre das etwas Gutes.« Er fluchte. »Ich kann nicht glauben, dass Elena ausgerechnet heute Morgen abgereist ist. Was für ein mieses Timing.«
Francesca riss die Augen auf. »Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Du kannst sie nicht den ganzen Tag hier alleine lassen.«
Kelly kehrte zurück, bevor Sam fragen konnte, wieso nicht. Nach allem, was er bisher gesehen hatte, schien das Mädchen ganz gut auf sich selbst aufpassen zu können.
Er warf einen Blick auf den Rucksack. »Mehr Gepäck hast du nicht?«
»Nö. Ich wollte nicht zu viele Klamotten mitbringen, weil ich nicht wusste, was man hier so trägt. Ich meine, West-Coast-Chic oder einfach nur hinterwäldlerisch hässlich?«
Sam wusste nicht, was er dazu sagen sollte, also schwieg er. Stattdessen ging er voran aus der Küche und die Treppe hinauf.
Im ersten Stock hielt er am anderen Ende des Flurs vor dem Zimmer, das am weitesten von seinem Schlafzimmer entfernt lag.
Von den fünf Räumen im Obergeschoss waren nur drei möbliert. Er führte Kelly zu dem größten Gästezimmer. In dem großen, luftigen Raum standen ein Queen-Size-Bett, eine Kommode, ein Schreibtisch und ein Schrank mit einem Fernseher. Das angrenzende Badezimmer war genauso groß wie das Schlafzimmer.
Kelly ließ ihren Rucksack aufs Bett fallen und sah sich alles genau an. Sie ging mit langen, eleganten Schritten und hielt den Kopf hoch. Jahrelanges Tanztraining, dachte Sam und fragte sich, ob sie wohl einen Übungsraum benötigen würde. Brauchten Tänzer nicht Parkettfußböden und Spiegelwände?
Kelly schob die Schranktür auf und öffnete die Türen der Fernsehwand. »Oh, gut. Ein Fernseher. Kabel oder Satellit?«
»Kabel.«
Sie neigte den Kopf. »Ich sehe gar keinen DVD-Player. Darum müssen wir uns diese Woche kümmern. Ich bin sicher, Tanya schickt
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