Eine Marcelli geht aufs Ganze
sind Freunde.«
»Oh, Freunde. Also habt ihr Sex, aber es ist nichts Ernstes, richtig?«
Francesca bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen. Sams Tochter als frühreif zu bezeichnen wäre stark untertrieben. Trotzdem, ihre vorlaute Art war Francesca schmerzlich vertraut. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie selbst eine tapfere Miene aufgesetzt hatte, um die Welt davon zu überzeugen, dass mit ihr alles in bester Ordnung war. Vielleicht gehörte das zum Erwachsenwerden dazu. Doch das machte es nicht weniger schmerzhaft.
Kelly lehnte sich zurück und stützte sich mit den Ellbogen hinter sich auf dem Tresen ab. Sie war hübsch. Schlank, mit großen Augen und wunderschönen roten Locken. Auf der Nase und den Wangen hatte sie Sommersprossen. Sie trug ein bauchfreies T-Shirt und eine tief sitzende Jeans. Beides sah sehr teuer aus.
»Freunde sind etwas anderes als ›besondere Freunde‹«, erklärte Kelly. »›Besondere Freunde‹ heißt, die Frau will heiraten, aber der Mann nicht. Er benutzt das Wort ›besonders‹ nur, um sie hinzuhalten. Besonders ist es nur für sie, aber nicht für ihn. Er schaut sich derweil nach einer Besseren um, hat aber nicht den Mumm, sie zu verlassen, ohne eine Neue zu haben, mit der er ins Bett geht. Tanya sagt, die meisten Probleme zwischen Männern und Frauen entstehen dadurch, dass die Frauen zu schnell nachgeben. Sexuell gesehen, meine ich.«
»Ich verstehe.« Francesca lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie wollte vor dem Kind nicht das Gleichgewicht verlieren. Sam hatte recht. Kelly war kein Kind. Für ihr Alter wirkte sie ausgesprochen reif.
In Gedanken ging sie Kellys Kommentare noch einmal durch. Ohne Zweifel hatte das Mädchen erhofft, eine Reaktion zu erzielen. Francesca entschloss sich zu einer weniger kontroversen Frage.
»Du nennst deine Mutter Tanya?«
»Klar.« Kelly schob sich eine Locke aus der Stirn. »Sie lügt andauernd, was ihr Alter angeht. Die Hälfte der Kerle, mit denen sie ausgeht, weiß nicht mal, dass sie ein Kind hat. Nur für den Fall, dass uns mal jemand zusammen erwischt – beim Einkaufen oder so –, will sie, dass ich sie Tanya nenne. So kann sie behaupten, ich wäre das Kind ihrer viel älteren Schwester. Die Männer finden das immer total süß. Als wäre sie dadurch ein total mütterlicher Typ oder so.« Kelly verdrehte die Augen. »Die meisten Männer sind so dumm.«
Okay, diese Unterhaltung war also auch nicht viel sicherer. »Wo wohnt ihr?«, fragte sie.
»In New York. Upper West Side. New York ist ziemlich cool. Ich wollte da nicht weg, aber Tanya wollte nicht, dass ich nach ihrem Umzug nach Europa alleine in unserer Wohnung bleibe. Ich glaube, Raoul weiß gar nichts von mir. Das ist so typisch. Ich meine, alle meine Kurse finden dort statt. Ich kann nicht glauben, wie viel ich versäumen werde, während ich hier bin. Santa Barbara ist nicht gerade eine große Stadt.«
Francescas Irritation wuchs von Minute zu Minute. »Du gehst im Sommer zur Schule?«
Die Mikrowelle piepte. Kelly glitt vom Hocker. »Ballett«, sagte sie ungeduldig. »Ich tanze.«
»Oh. Das ist schön.«
Kelly nahm den Teller mit dem dampfenden Essen heraus und trug ihn zum Tresen. »Das ist mehr als schön. Ich arbeite hart. Ich habe vor, professionelle Tänzerin zu werden. Aber ich habe im Internet auch eine Schule hier in der Nähe gefunden. Die Lehrerin war Tänzerin in verschiedenen internationalen Ensembles. Sam wird sie morgen früh anrufen und mir ein Vortanzen verschaffen müssen. Ich hätte das selber organisiert, aber ich habe ja erst gestern entschieden hierherzukommen.«
Francesca wünschte sich, das hier wäre ein Film, damit sie auf >Pause< drücken könnte. Sie brauchte ein paar Minuten, um das alles zu verdauen.
»Entschieden? Warum?«
Kelly fing an, die Schubladen zu öffnen. Schließlich fand sie diejenige mit dem Besteck und nahm sich eine Gabel. »Ich habe endlich den Namen meines Dads herausgefunden. Bis vor ein paar Monaten dachte ich, er wäre tot. Das hat Tanya mir zumindest immer erzählt. Dann habe ich einmal gehört, wie sie mit ihren Freundinnen über mich geredet hat.« Kelly schaute sie an. »In dem Gespräch erwähnte sie Sam, also wusste ich, dass er noch lebte. Ich fing an, sie zu drängen, mir endlich zu erzählen, wer er ist. Gestern hatten wir einen riesigen Streit, und da ist es aus ihr herausgeplatzt. Nachdem ich den Namen wusste, habe ich gewartet, bis Tanya mit Raoul ausgegangen ist,
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