Eine Marcelli geht aufs Ganze
Er hätte bei Kellys Auftauchen total durchdrehen können, doch er war erstaunlich ruhig geblieben. Trotz des Schocks, unter dem er litt, ging er die Sache systematisch an, machte sich Gedanken um seine Tochter und schob niemandem die Schuld in die Schuhe.
Er beugte sich vor und küsste sie. Sein Kuss war warm, fest und zärtlich, aber nicht leidenschaftlich. Francesca verstand das. Ein Kind, das unerwartet vor der Tür stand, konnte den Verlauf eines romantischen Abends empfindlich beeinflussen.
»Ich habe in den nächsten paar Tagen nicht viel vor«, sagte sie. »Ich sollte eigentlich an der Gliederung für meine Dissertation arbeiten, aber ich befasse mich stattdessen lieber mit kreativer Aufschieberitis. Soll ich morgen früh herkommen und dir ein wenig zur Hand gehen?«
Er zögerte. »Du hast ja keine Ahnung, wie gerne ich Ja sagen würde. Aber das hier ist nicht dein Problem.«
»Stimmt, es ist deins. Und? Willst du das wirklich alles alleine managen?«
»Auf gar keinen Fall. Aber wir haben diese Abmachung – großartiger Sex ohne Verpflichtungen.«
»Ich mache mal eine Ausnahme.« Sie schaute ihm in die Augen. »Ich meine es ernst, Sam.«
»Dann gebe ich meinen Widerstand einfach auf und sage Danke schön.« Er schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Heute Abend kann ich nichts mehr organisieren, was bedeutet, dass ich morgen wohl nicht in die Firma gehen werde.« Er berührte ihr Gesicht. »Wenn es dir wirklich nichts ausmacht vorbeizukommen, wäre das toll. Zumindest sind die Erwachsenen dann in der Überzahl. Meinst du, so hätten wir eine Chance?«
Francesca dachte an Kellys altkluge Art. »Vermutlich wird sie uns immer noch haushoch überlegen sein, aber zumindest sind wir beide dann Verbündete.«
Sam lachte leise. »Du bist einmalig. Danke.«
Bei seinen Worten wurde ihr ganz warm ums Herz. Gut, dass sie romantischen Verwicklungen schon vor Jahren abgeschworen hatte. Sonst hätte dieser Mann ihr ernsthaft gefährlich werden können.
Sie stand auf. »Ich fahre dann mal nach Hause. Wir beide müssen morgen gut ausgeschlafen sein.«
Er erhob sich ebenfalls. »Um uns dem Grauen der Pubertät zu stellen?«
»Genau. Denk immer daran: Du bist der Erwachsene.«
»Oh, ich weiß das. Jetzt müssen wir nur noch Kelly davon überzeugen.«
»Bist du sicher, dass sie noch lebt?« Gabriel lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück. »Ich meine, es ist bereits nach neun. Du solltest vielleicht mal nach ihr sehen.«
Sam bezweifelte, dass Kelly über Nacht verschieden war. Und er glaubte auch nicht, dass sie weggelaufen war. So viel Glück hatte er nicht. Natürlich würde ihr Weglaufen seine Probleme nur aufschieben. Er wäre gezwungen, sie zu suchen und wieder zurückzubringen. Nicht gerade der beste Start in den Tag.
»Ich lasse ihr noch eine halbe Stunde, dann sehe ich nach ihr.«
Gabriel zuckte mit den Schultern. »Sie ist deine Tochter.«
Sam hatte mit dieser Vorstellung immer noch keinen Frieden geschlossen. Ein Kind. Das kam ihm nicht richtig vor. Nicht nach all dieser Zeit. Hinzu kam, dass Kelly nicht gerade das Kind war, das er sich ausgesucht hätte.
»Was willst du mit ihr machen?«, wollte sein Großvater wissen.
Sam schaute aus dem großen Fenster über der Spüle. »Wenn ich das nur wüsste. Erst mal muss sie sich einleben. Sie will Tanzunterricht nehmen.«
»Wie willst du es anstellen, sie überallhin zu fahren? Sie ist noch nicht alt genug für den Führerschein. Du wirst jemanden anstellen müssen.«
»Ich weiß.« Er hatte bereits einige Zeit am Telefon verbracht, aber es war nicht leicht, eine professionelle Tagesmutter für einen Teenager zu bekommen. »Die Nannys wollen alle mit Babys und Kleinkindern arbeiten. Ich habe ein paar Leute auf die Suche geschickt. Sie wollen sich im Laufe des Tages bei mir melden.«
Gabriel nahm seine Kaffeetasse zur Hand. »Tanya ist ein Miststück.«
»Wem sagst du das.«
Nachdem Francesca am Abend zuvor gegangen war, hatte Sam seinen Großvater angerufen, um ihm von den Ereignissen zu berichten. Gabriel war wegen des Verrats unglaublich wütend gewesen, aber wirklich überrascht hatte es ihn nicht. An diesem Morgen war er ganz früh bei Sam erschienen, um seine Urenkelin in Augenschein zu nehmen, aber bisher war Kelly noch nicht aufgetaucht.
»Wenigstens ist dieses Kind nicht dumm«, erklärte Gabriel. »Es braucht schon ein paar Gehirnzellen, um sich ganz allein hierher durchzuschlagen. Du solltest stolz auf sie sein.«
»Hm-hm.«
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