Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Bock aufzudonnern.
    «Warum war Morris an dem Vormittag in der
Kirche?»
    «Wir leben in einem freien Land, Morse.
Vielleicht war ihm gerade danach.»
    «Haben Sie festgestellt, ob er an dem Tag Orgel
gespielt hat?»
     

     
    «Hat er.» Bell war wieder obenauf — eine seltene
Erfahrung bei einem Gespräch mit Morse.
    Als Morse weg war, sah Bell minutenlang tatenlos
aus dem Fenster. Morse war ein schlauer Hund. Mit einigen Fragen war er ihm
ziemlich nah an den Nerv gekommen. Aber Unklarheiten gab es bei jedem Fall. Er
versuchte, gedanklich auf einen anderen Kanal umzuschalten, aber ihm war heiß,
und er schwitzte. Sah ganz danach aus, als ob er sich eine Erkältung
eingefangen hatte.
     
     
    Ruth Rawlinson hatte Morse angeschwindelt. Das
heißt, nicht direkt angeschwindelt. Sie war an ihrem Geburtstag tatsächlich
abends verabredet, aber zum Glück nicht sehr lange. Danach könnte sie sich mit
Morse treffen, falls er noch Lust hatte, mit ihr auszugehen.
    Um drei blätterte sie nervös unter M in dem
blauen Telefonbuch von Oxford und Umgebung. Sie fand nur einen Morse, wohnhaft
in Nord-Oxford. Morse, E. Sie wußte nicht, wie er mit Vornamen hieß, und
überlegte kurz, wofür wohl das E stehen mochte. Gegen jede Vernunft hoffte sie
bei den ersten Anschlägen des Apparates, daß er nicht zu Hause war. Je länger
sie es klingeln ließ, desto sehnsüchtiger wünschte sie sich, er möge sich
melden.
    Aber er meldete sich nicht.
     
     
     

14
     
    Morse ging an Christ Church vorbei zum
Cornmarket. Die Tür zum Carfax-Turm stand offen, ein Schild lud die Touristen
ein, sich hinaufzuwagen und das Panorama von Oxford zu bewundern. Auf dem Turm
sah er vier oder fünf Personen stehen, die sich dunkel gegen den Himmel abhoben
und auf die eine oder andere Sehenswürdigkeit deuteten. Ein Jugendlicher saß
auf der Brüstung und stemmte einen Stiefel gegen die nächstgelegene Zinne.
Morse merkte, wie leichte Panik in ihm aufstieg. Er senkte den Blick und ging
weiter. Während er sich in die kleine Schlange an der Bushaltestelle vor
Woolworth einreihte, dachte er an das gerade Gelesene, an die Lebensläufe von
Josephs und von Lawson, die Berichte über ihren Tod und die polizeilichen
Ermittlungen. Aber im Augenblick wollte sich kein weiterer Gedankenblitz
einstellen. Er wandte sich zur St. Giles und sah zum Turm von St. Frideswide’s
hinauf. Da oben stand natürlich niemand... Moment mal. War vor kurzem jemand
dort oben gewesen? Plötzlich kam ihm ein ganz verrückter Gedanke. Aber nein,
das konnte nicht sein. In Bells Akte hatte gestanden: «Im November geht immer
eine Gruppe Freiwilliger hinauf, um das Laub zusammenzukehren.»
    Ein Bus zur Banbury Road hielt, und Morse stieg
aufs Oberdeck. Als sie an St. Frideswide’s vorbeifuhren, sah er erneut zum Turm
hinauf und schätzte seine Flöhe. Fünfundzwanzig, dreißig Meter? Die Bäume in
der St. Giles hatten diesen fernen Hauch von Grün, der das Aufbrechen der
Knospen verkündet. Als der Bus in die Haltebucht vor dem Taylorian Institute
ein fuhr, kratzte das Dach des Fahrzeugs an den Ästen entlang — und bei Morse
klickte etwas. Wie hoch waren die Bäume hier? Vierzehn, fünfzehn Meter, mehr
bestimmt nicht. Wie im Namen der Schwerkraft brachte es dann das Herbstlaub
fertig, bis auf den Turm von St. Frideswide’s zu tanzen? Natürlich gab es auch
hier eine simple Antwort. Die Laubfegebrigade brauchte überhaupt nicht auf den
Hauptturm zu klettern, sie machte nur die Dächer über dem Mittelschiff und der
Marienkapelle sauber. Und damit wurde der verrückte Gedanke, der ihm gekommen
war, noch um einiges verrückter. War nach Lawsons Tod, als Bells Männer bestimmt
jedes Blatt und jeden Stein umgedreht hatten, jemand auf dem Turm gewesen?
    Der Bus hielt in der Einkaufszone von
Summertown. Morse schloß sich dem Exodus der Fahrgäste an. In Bells Unterlagen
war ein paarmal taktvoll Josephs’ Schwäche für Pferdewetten erwähnt und die
durchaus vernünftige Vermutung geäußert worden (das war vor Bells Besuch bei
Josephs’ Bank gewesen), daß die hundert Pfund in der Brieftasche des Toten
relativ harmloser Herkunft waren, nämlich aus dem Wettbüro in Summertown
stammten.
    Morse stieß die Tür auf — und erlebte eine
Überraschung. Der Raum erinnerte eher an eine Filiale von Lloyds Bank als an
überlieferte Bilder eines Buchmacherbüros. An der hinteren Wand lief ein Tresen
entlang, über dem ein schmales Gitter angebracht war. Dahinter nahmen zweijunge
Frauen Geld entgegen

Weitere Kostenlose Bücher