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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Dieser verdammte Urlaub brachte ihn ganz
durcheinander. Heute, am Dienstag abend, hatte ihn in seinem Sessel wieder eine
lähmende Lethargie erfaßt, die mit jeder Minute schlimmer wurde. Das Playhouse bot ihm eine Farce von Joe Orton, die von den Kritikern als klassische Komödie
gerühmt worden war. Nichts für ihn. Das Moulin Rouge zeigte die feurige
Sandra Bergson als Chefin einer sexhungrigen, wilden, unersättlichen
Mädchenbande in dem Film «On the Game». Auch nichts. Niemand konnte es im
Augenblick Morse recht machen. Dann fiel ihm Sergeant Lewis ein.
     
     
    In der Sandfield Road hatte Morse ohne Mühe
einen Parkplatz für den Lancia gefunden. Jetzt ließ er sich von einem
knarrenden Drehkreuz ins Stadion schieben. Auf der Westseite standen nur ein
paar durchnäßte, mit Regenschirmen bewaffnete Figuren, aber auf der überdachten
Tribüne am Ende der London Road drängten sich junge Leute mit orange-schwarzen
Schals und ließen ihr anfeuerndes «Oxford, hey, hey, hey!» im Stakkatorhythmus
über den Platz schallen. Unvermittelt wurde das Flutlicht eingeschaltet, und
das nasse Gras glitzerte.
    Lautes Gebrüll begrüßte die in blauem Hemd und
blauer Hose spielende Heimmannschaft, die sich gegen den schräg einfallenden
Regen stemmte. Morse wandte sich um. Hinter ihm war die Haupttribüne, überdacht
und unterbesetzt. Er ging zurück zum Eingang und erstand ein Zusatzbillett.
    Zur Halbzeit hatte Oxford zwei Tore Rückstand,
und Morse hatte, so aufmerksam er sich auch umsah, Lewis immer noch nicht
entdeckt. Während die Mannschaft das Mittelfeld und die Umgebung der Tore in
eine weiche, matschige Masse verwandelt hatte, die ihn an Aufnahmen der
Schlachtfelder von Passchendaele erinnerte, waren seine Gedanken nicht zur Ruhe
gekommen. Eine unwahrscheinliche, unlogische Ahnung hatte sich in seinem Kopf
festgesetzt, alle seine Überlegungen kreisten jetzt um den Turm von St.
Frideswide’s. Daß er selbst nicht imstande war, diese Ahnung zu überprüfen, wie
es in Wirklichkeit um diese Ahnung bestellt war, ließ sie nur noch glaubhafter
erscheinen. Kein Zweifel, er brauchte Lewis dringend.
    Unter gellenden Pfiffen kam der Schiedsrichter,
dessen schwarze Kluft glänzte wie ein Taucheranzug, wieder heraus, um erneut
das Spielfeld zu begutachten. Morse sah auf die Uhr neben der riesigen
Anzeigetafel. 20.20 Uhr. Hatte das Warten überhaupt noch Zweck?
    Eine schwere Hand legte sich von hinten auf
seine Schulter. ;
    «Sie sind ja verrückt, Sir.»
    Lewis schwang sich über die Banklehne und setzte
sich neben seinen Chef.
    Morse war hochbeglückt. «Hören Sie, Lewis, ich
brauche Ihre Hilfe.»
    «Natürlich, Sir, jederzeit. Aber sind Sie nicht—»
    «Jederzeit?»
    Die Frage wirkte sichtlich ernüchternd. «Sie
meinen doch nicht etwa —»
    Natürlich wußte er ganz genau, was Morse meinte.
    «Das Match habt ihr sowieso verloren.»
    «Ja, wir haben in der ersten Halbzeit ein
bißchen Pech gehabt...»
    «Sind Sie eigentlich schwindelfrei?» fragte
Morse.
     
     
    Wie die Straßen um das Stadion herum war auch
die St. Giles ziemlich leer, und sie konnten beide Wagen vor dem St. John’s
College parken.
    «Wie wär’s mit einem Beefburger, Lewis?»
    «Nein, danke, Sir. Meine Frau hat bestimmt
Fritten gemacht.»
    Morse lächelte zufrieden. Es tat gut, wieder im
Geschirr zu sein, und es war schön, an Mrs. Lewis’ Fritten erinnert zu werden.
Selbst der Regen hatte nachgelassen. Morse hob den Kopf und atmete tief, ohne
auf Lewis’ wiederholte Fragen nach ihrer nächtlichen Mission einzugehen.
    Hinter dem großen Westfenster von St.
Frideswide’s leuchtete es mattgelb, man hörte gedämpft-melancholischen
Orgelklang.
    «Gehen wir zur Kirche?» fragte Lewis. Wortlos
schob Morse den Riegel der Tür am Nordportal zurück und trat ein. Links von
ihnen stand eine bunt bemalte Statue der Heiligen Jungfrau im flackernden Licht
vieler Kerzen. Einige waren schlank und schon fast heruntergebrannt, andere
dick und stämmig und bestimmt noch gut für den Rest der Nacht. Kaleidoskopartig
beleuchteten sie die von stiller Heiterkeit geprägten Züge der Muttergottes.
    «Coleridge hatte großes Interesse an Kerzen»,
sagte Morse. Aber ehe er Lewis dieses rätselhafte Gesprächsthema verdeutlichen
konnte, tauchte aus der Düsternis eine hochgewachsene, schattenhafte Gestalt in
schwarzer Kutte auf.
    «Tut mir leid, aber der Gottesdienst ist schon
vorbei.»
    «Um so besser», sagte Morse. «Wir wollen auf den
Turm.»
    «Wie bitte?»
    «Wer

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