Morris abgeblieben?» fragte Morse.
«Vermutlich ist er mit Josephs’ Frau abgehauen.»
«Aber genau wissen Sie es nicht?»
Bell schüttelte den Kopf. Er sah müde aus. «Wir
haben uns die größte Mühe gegeben, aber—»
«Haben Sie die Frau gefunden?»
Wieder schüttelte Bell den Kopf. «Wir sind da
nicht allzu forsch rangegangen, Sie wissen ja, wie das ist. Morris
unterrichtete an der Schule, an der auch sein Sohn war, und —»
«Daß Morris einen Sohn hat, haben Sie mir nicht
erzählt.»
Bell seufzte laut. «Ihre Fragerei kann einem
ganz schön auf den Geist gehen. Sie kommen her und präsentieren mir eine neue
Leiche, für die ich weitere sechs Mann abstellen muß. Eben erfahre ich, daß sie
bei Folly Bridge einen aus dem Fluß gezogen haben. In Jericho machen uns
Hausbesetzer Ärger.» Er holte ein Taschentuch heraus und nieste heftig. «Und
obendrein krieg ich noch die Grippe. Und da verlangen Sie, daß ich einem Typ
nachgehe, von dem bekannt war, daß er sich in schöner Regelmäßigkeit mit
Josephs’ besserer Hälfte getroffen hat, schon lange vor—»:
«Ach ja?» sagte Morse. «Warum stand das nicht in
dem Bericht?»
«Jetzt hören Sie aber auf.»
«Vielleicht hat er Josephs umgebracht.
Eifersucht. Ideales Motiv.»
«Verdammt noch mal, er hat an der Orgel
gesessen, als —»
Wieder nieste Bell geräuschvoll.
Morse lehnte sich zurück und machte plötzlich
ein sehr zufriedenes Gesicht. «Glauben Sie immer noch, daß es Lawson war, der
vom Turm gefallen ist?»
«Ich sag Ihnen doch, Morse, er ist von zwei
Zeugen identifiziert worden.»
«Ja, ich weiß. Von einer fast blinden Frau und
von dem Mann, der mit Brenda Josephs durchgebrannt ist.»
«Hauen Sie ab, Mann.»
«Lassen Sie sich einen guten Rat geben, alter
Freund. Wenn Sie mit Ihren Hausbesetzern fertig sind, sollten Sie sich ein paar
Leute schnappen und Lawsons Sarg ausbuddeln lassen. Ich vermute - ich vermute
wohlgemerkt! -, daß Sie Lawson darin gar nicht finden.» Er grinste boshaft und
wandte sich zum Gehen.
«Das ist eine idiotische Bemerkung.»
«Ach ja?»
«Und so einfach ist das auch nicht.»Jetzt war es
an Bell, boshaft zu grinsen.
«Nein?»
«Nein. Lawson ist nämlich verbrannt worden.»
Morse ließ kaum Überraschung oder Enttäuschung
erkennen. «Ich hab mal einen Pfarrer gekannt —»
«Was Sie nicht sagen», bemerkte Bell bissig.
«—dem hatten sie im Ersten Weltkrieg einen Fuß
amputiert. Er saß in einem Panzer fest, und sie mußten den Mann schnell
rausholen, weil das Ding brannte. Und da haben sie seinen Fuß dringelassen.»
«Sehr interessant.»
«Als ich ihn kennenlernte, war er schon sehr
alt», fuhr Morse fort. «Stand mit einem Fuß im Grab, sozusagen.»
Bell schob seinen Stuhl zurück. «Das können Sie
mir gelegentlich mal erzählen.»
«Ja, und als das Gespräch auf die Vor- und
Nachteile von Erd- und Feuerbestattungen kam, sagte der alte Knabe, ihm sei
ziemlich egal, was sie mit ihm anstellten. Er habe gewissermaßen einen Fuß in
beiden Lagern.»
Bell schüttelte einigermaßen ratlos den Kopf und
kapierte überhaupt nichts mehr.
«Sagen Sie, wie hieß der Sohn von Paul Morris
mit Vornamen?»
«Peter, glaube ich. Warum—»
Aber Morse zog ab, ohne Bell aufzuklären.
Am Ende des Cornmarket stand die Ampel auf Rot,
und während Morse wartete, sah er wieder einmal zu dem Turm von St.
Frideswide’s hoch, betrachtete das große Westfenster, das gestern abend
mattgelb durch die Dunkelheit geleuchtet hatte, als er und Lewis... Einem
plötzlichen Impuls folgend, bog er in die Beaumont Street ein und parkte vor
dem Randolph. Sofort stürzte sich ein livrierter junger Schnösel auf
ihn. «Hier können Sie Ihren Wagen nicht stehenlassen.»
«Ich kann den Scheiß wagen stehenlassen, wo ich
will», fuhr Morse ihn an. «Und beim nächstenmal sagst du
zu mir,
verstanden?»
Die Tür am Nordportal war abgeschlossen, und ein
Schild verkündete: «Auf Grund einiger mutwilliger Zerstörungen im Lauf der
letzten Monate sind wir zu unserem Bedauern genötigt, an • Wochentagen die
Kirche in der Zeit von 11.oo bis 17.00 Uhr für Besucher geschlossen zu halten.»
Morse hätte am liebsten den ganzen Satz umformuliert, aber er gab sich damit
zufrieden, das auszustreichen und darüber zu
schreiben. 1
17
Morse klopfte energisch an die Tür, auf der
«Auskunft» stand, machte sie auf und nickte einer sympathisch aussehenden
Schulsekretärin zu.
«Kann ich