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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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rostfleckigen
Gitterstäbe fiel der Strahl der Taschenlampe auf den Schachtboden etwa vier
Meter unter ihnen, der mit Papiertüten und Zigarettenschachteln bedeckt war. An
der Seite des Schachtes, gegenüber der Kirchenmauer, war eine gebrechlich
aussehende hölzerne Leiter, parallel dazu verlief ein metallener Handlauf steil
nach unten. Direkt unterhalb der Kirchenmauer war eine kleine Tür zu erkennen,
der Eingang zur Gruft.
    Minutenlang sahen sie alle drei in das schwarze
Loch hinunter und dachten in etwa das gleiche: Sollte man nicht das helle Licht
des Tages abwarten, ein Licht, das alle Vorstellungen von grinsenden Schädeln
und grausigen Skeletten vertreiben würde? Doch da griff Morse mit den Händen unter
die Eisenstäbe und hob das Gitter ohne Mühe hoch.
    «Sind Sie sicher, daß seit zehn Jahren niemand
mehr hier unten war?» fragte er.
    Lewis beugte sich in die Dunkelheit hinunter und
tastete nach den Leitersprossen.
    «Fühlt sich ziemlich fest an, Sir.»
    «Sicher ist sicher, Lewis. Es braucht ja nicht
unbedingt noch eine Leiche zu geben.»
    Meiklejohn sah zu, wie sie die Leiter nach unten
schoben, und als sie fest auf der anderen lag, nahm Lewis die Taschenlampe und
begann vorsichtig den Abstieg.
    «Schätze, daß vor kurzem jemand hier war, Sir.
Eine der Sprossen weiter unten ist kaputt, aber die Bruchstellen sind noch
ziemlich frisch.»
    «Wahrscheinlich wieder einer unserer Rabauken»,
sagte Meiklejohn zu Morse. «Sie machen alles kaputt, nur aus Daffke, wie sie es
ausdrücken. Aber ich muß jetzt wirklich gehen, Inspector. Tut mir leid, wenn — äh
—»
    «Schon gut», sagte Morse. «Wenn wir was finden,
sagen wir Ihnen Bescheid.»
    «Rechnen Sie damit, etwas zu finden?»
    Wäre er ehrlich gewesen, hätte er ja sagen
müssen. Er rechnete damit, die Leiche eines Jungen namens Peter Morris zu
finden. «Eigentlich nicht, Sir. Wir müssen nur jeder Möglichkeit nachgehen.»
    «Die Tür ist abgeschlossen», klang es dumpf von
unten. «Können Sie —»
    Morse warf sein Schlüsselbund herunter. «Sehen
Sie zu, ob einer paßt.»
    «Wenn nicht, werden Sie wohl wirklich bis morgen
früh warten müssen», sagte Meiklejohn. «Mein Schlüsselbund ist genau wie Ihrs,
und —»
    «Hat geklappt», rief Lewis aus der Tiefe.
    Morse wandte sich an Meiklejohn. «Gehen Sie nur.
Wie gesagt, wir sagen Ihnen Bescheid, wenn... falls...»
    «Vielen Dank. Lassen Sie uns beten, daß nichts
gefunden wird, Inspector. Es ist auch jetzt schon schlimm genug, und—»
    «Gute Nacht, Sir.»
    Äußerst mißtrauisch schwang sich Morse auf die
Leiter und bewegte sich unter wiederholten Mahnungen an Lewis, das verdammte
Ding auch ja festzuhalten, mit den tastenden Schritten eines
Seiltänzerlehrlings nach unten. Auch er sah jetzt, daß auf der Holzleiter die
dritte Sprosse von unten in der Mitte durchgebrochen war. Die linke Seite hing
in einem Winkel von 45 Grad herunter. Die Splitter waren noch ganz hell. Hier
war offensichtlich eine schwere Person heruntergestiegen. Oder jemand, der eine
zusätzliche Last auf dem Rücken getragen hatte.
    «Glauben Sie, daß hier Ratten sind?» fragte
Morse.
    «Kann ich mir nicht vorstellen. Hier haben sie
ja nichts zu fressen.»
    «Leichen vielleicht?» Morse erwog erneut, seine
unheimliche Mission bis zum Morgen aufzuschieben. Ein leiser Schauer überlief
ihn, als er zu dem hellen Rechteck über sich aufsah, und halb und halb
erwartete er jeden Augenblick, dort eine teuflisch grinsende Fratze zu sehen.
Er holte tief Luft. «Auf geht’s, Lewis.»
    Die Tür knarrte und jaulte in den rostigen
Angeln, als Lewis sie langsam aufstieß, und Morse ließ die Taschenlampe nervös
hin und her tanzen. Es stellte sich heraus, daß die Stützpfeiler der Kirche bis
in die Krypta herunterreichten. Dadurch war eine Reihe steinerner Nischen
entstanden, die das unterirdische Gewölbe in kellerartige Gelasse unterteilte,
an denen zumindest Lewis nichts Unheimliches finden konnte. Die zweite Nische
links jedenfalls ließ keinen Gedanken an Skelette oder Gespenster aufkommen,
denn dort lagerte trocken und sicher ein großer Haufen Koks (vermutlich für das
frühere Heizsystem der Kirche), darauf lag eine Art Spaten mit langem Griff.
    «Bißchen kostenloser Koks gefällig, Sir?» Lewis
ging voran, nahm Morse die Taschenlampe ab und leuchtete den überraschend
trockenen Innenraum ab. Doch je tiefer sie in die Finsternis eindrangen, um so
schwieriger wurde es, sich ein zusammenhängendes Bild von der Anordnung

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