Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
leerem Blick auf den Schreibtisch. «Geben Sie mir noch
mal die Akte.»
    «Wen hat denn Ihr Donnerwetter getroffen, Sir?»
    Morse lächelte säuerlich. «Dickson, diesen
Armleuchter. Er hat gestern Dienst gemacht. Ich hätte ihn nicht so anbrüllen
dürfen.»
    «Und warum haben Sie’s getan?» Lewis legte die
Akte auf den Schreibtisch.
    «Wahrscheinlich, weil ich wütend auf mich selber
war. Ich hätte wohl voraussehen müssen, daß sie die Nächste sein würde. Der Fall
läuft aus dem Ruder, Lewis. Ich finde mich nicht mehr zurecht.»
    Der Zeitpunkt war günstig, fand Lewis. Morses
Wut war verraucht, er wirkte nur noch gereizt und frustriert. Vielleicht war er
da für einen guten Rat zugänglich.
    «Gestern abend habe ich mir das noch mal
überlegt, was Sie im Bulldog gesagt haben, Sir. Wissen Sie noch? Sie
haben gesagt, daß Lawson, Hochwürden Lawson, meine ich, geradewegs —»
    «Verschonen Sie mich, Lewis. Wir finden auf
Schritt und Tritt eine Leiche, wir stecken in dem schlimmsten Schlamassel seit
Menschengedenken, und da kommen Sie her und sagen —»
    «Sie haben das gesagt, Sir.»
    «Ich weiß, aber... Ach, lassen Sie mich doch in
Ruhe, Mann. Merken Sie nicht, daß ich versuche nachzudenken? Irgendjemand in
diesem Saftladen muß es ja tun.»
    «Ich wollte doch nur—»
    «Jetzt vergessen Sie mal, was ich gesagt habe,
und halten Sie sich zur Abwechslung an die Fakten.» Er schlug wütend mit der
Faust auf die vor ihm liegende Akte. «Und die stehen alle hier drin. Josephs
wird ermordet, klar? Hochwürden Lionel Lawson springt von dem verdammten Turm,
klar? Morris senior wird ermordet und auf eben jenen verdammten Turm
geschleppt. Morris Junior wird erwürgt und in der Krypta verbuddelt. Das sind
Fakten, und die müssen wir akzeptieren. Alles andere ist Quatsch mit Soße.»
    Lewis ging hinaus und machte die Tür
geräuschvoll hinter sich zu. So langsam reichte es ihm. Undank war der Welt
Lohn, gewiß, aber so was konnte einem die ganze Arbeit vermiesen. Er ging in
die Kantine und bestellte sich einen Kaffee. Sollte der alte Stinker doch in
seinem eigenen Saft schmoren. Vor der Mittagspause würde Lewis sich nicht mehr
bei ihm sehen lassen. Er las den Daily Mirror und trank eine zweite
Tasse Kaffee. Er las die Sun und trank eine dritte. Und dann beschloß
er, nach Kidlington zu fahren.
    Am Himmel waren jetzt Andeutungen von Blau zu
sehen, und der nächtliche Regen war auf den Gehsteigen schon fast getrocknet.
Er fuhr über die Banbury Road und an der Linton und der Belbrough Road vorbei.
Die Kirsch- und Mandelbäume waren ein rosaweißes Blütenmeer, am Rand der
gepflegten Rasenflächen standen Narzissen und Hyazinthen. Nord-Oxford zu Beginn
des Frühjahrs war eine Pracht. Als er in Kidlington ankam, fand Lewis das Leben
schon wieder wesentlich erfreulicher.
    Dickson würde wohl in der Kantine sein. Dickson
war fast immer in der Kantine.
    «Sie haben ja heute ’ne schöne Abreibung
gekriegt», meinte Lewis.
    «Und ob. Den hätten Sie mal hören sollen.»
    «Hab ich», gestand Lewis.
    «Und dabei hab ich nur Vertretung gemacht. Wir
sind hier so knapp dran, daß es mich mit dem Telefondienst erwischt hat. Und
dann passiert so was. Woher soll ich wissen, wer die Frau ist? Sie hatte ihren
Namen geändert, und die haben bloß gesagt, daß sie vielleicht mal in Kidlington
gewohnt hat. Manchmal ist das Leben wirklich sehr unfair.»
    «Er kann richtig gemein werden.»
    «Wie war das?»
    «Morse. Ich sagte, er kann—»
    «Nicht so schlimm.» Dickson wirkte durchaus
nicht niedergeschlagen, als er genüßlich in einen Krapfen biß.
    «Waren Sie noch nicht beim Super?»
    «Das hat er nicht so gemeint.»
    «Hören Sie mal, Dickson, Sie sind hier bei der
Polizei, nicht im Kindergarten. Wenn Morse gesagt hat —»
    «Hat er aber nicht. Eine halbe Stunde später hat
er noch mal angerufen und gesagt, daß es ihm leid tut. Vergessen Sie’s, hat er
gesagt.»
    «Das darf nicht wahr sein.»
    «Doch, ehrlich, Sarge. Wir haben uns zum Schluß
richtig nett unterhalten. Ich hab ihn gefragt, ob ich ihm irgendwie helfen
kann, und wissen Sie, was er gesagt hat? Ich soll bei den Kollegen in
Shrewsbury rausfinden, ob die Frau am Freitag umgebracht worden ist. Das ist
alles, hat er gemeint. Ihm ist’s egal, ob sie erstochen oder erwürgt worden ist
oder sonst was, ihm geht’s nur darum, ob’s am Freitag war. Immer so komische
Fragen, nie das, womit man rechnet. Der ist mit allen Salben geschmiert, sag
ich Ihnen.»
    Lewis wandte sich

Weitere Kostenlose Bücher