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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zum Gehen.
    «Es war kein Sexualmord, Sarge.»
    «Nein?»
    «Soll ’ne hübsche Frau gewesen sein. Kein Teenie
mehr, aber offenbar haben ein paar von den Ärzten versucht, sich an sie
ranzumachen. Also ich find ja schwarze Strümpfe sowieso sexy.»
    «Trug sie schwarze Strümpfe?»
    «Die Schwestern tragen doch alle —»
    Aber Lewis war schon weg. Er fühlte sich
gekränkt und zurückgesetzt. Wer war denn dazu da, Morse zu helfen, er oder
Dickson?
    Viertel vor zwölf kam Lewis ins Präsidium zurück
und betrat Bells Büro. Morse saß noch da, wo er vorhin gesessen hatte, doch
jetzt ruhte sein Kopf, in die linke Armbeuge gebettet, auf der
Schreibtischplatte. Er schlummerte friedlich.
     
     
     

28
     
    Als Ruth fünf vor eins noch nicht zu Hause war,
begann Mrs. Rawlinson sich ernstlich Sorgen zu machen. Sie ahnte - nein, sie
wußte — daß Ruths mittägliche Einkehr im Randolph inzwischen zur
Gewohnheit geworden war, und es wurde höchste Zeit, daß sie ihr wieder einmal
klarmachte, wo ihre Pflichten lagen. Im Augenblick aber überwog der nackte
Mutterinstinkt, besonders, als zehn Minuten nach eins die Nachrichten zu Ende
waren, ohne daß ihre Tochter sich hatte blicken lassen. Um Viertel nach eins
läutete das Telefon. Mrs. Rawlinsons Hand zitterte, als sie abnahm, und Panik
stieg in ihr auf, als der Anrufer seinen Namen nannte.
    «Mrs. Rawlinson? Hier Chief Inspector Morse.»
    «Mein Gott, was ist passiert?» stieß sie hervor.
    «Ist Ihnen was, Mrs. Rawlinson?»
    «Nein, gar nichts. Ich... ich dachte nur...»
    «Kein Grund zur Sorge.» (Aber klang nicht seine
Stimme doch etwas besorgt?) «Ich möchte nur ganz kurz mit Ihrer Tochter
sprechen.»
    «Tut mir leid, sie ist nicht zu Hause. Sie—»
Jetzt drehte sich ein Schlüssel in der Haustür. «Moment bitte, Inspector.»
    Ruth erschien vergnügt und mit frischem Gesicht
auf der Schwelle.
    «Hier, für dich.» Die Mutter drückte ihr den
Hörer in die Hand, lehnte sich in ihrem Rollstuhl zurück und überließ sich
einer befreienden Aufwallung der Wut.
    «Miss. Rawlinson? Hier Morse. Ich habe nur eine
Routinefrage. Können Sie mir sagen, ob Pfarrer Lawson eine Brille trug?»
    «Ja. Warum?»
    «Hatte er sie nur zum Lesen, oder trug er sie
ständig?»
    «Er hatte sie immer auf. Jedenfalls immer, wenn
ich ihn gesehen habe. Eine Brille mit Goldrand.»
    «Sehr interessant. Erinnern Sie sich — äh — noch
an diesen Stadtstreicher, der manchmal in die Kirche kam?»
    «Ja, an den erinnere ich mich», sagte Ruth
langsam.
    «Hatte er eine Brille?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Das dachte ich mir. Ja, das wär’s zunächst. Wie
geht’s Ihnen sonst?»
    «Danke, gut.»
    «Und Sie tun immer noch Ihr gutes Werk? In der
Kirche, meine ich.»
    «Ja.»
    «Montags und mittwochs, nicht?»
    «Ja.» Schon zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit
hörte sie diese Frage. Jetzt würde er gleich wissen wollen, um welche Zeit sie
hinging. Es war wie eine Wiederholungssendung im Radio.
    «Meist so gegen zehn, stimmt’s?»
    «Ja. Warum fragen Sie?»
    Und warum bekam sie es plötzlich mit der Angst
zu tun?
    «Nur so. Ich — ähem — dachte nur, daß wir uns
vielleicht wieder mal dort sehen.»
    «Kann schon sein.»
    «Passen Sie schön auf sich auf.»
    Warum konnte er nicht auf sie aufpassen?
«Mach ich», hörte sie sich sagen.
    «Wiederhören.» Morse legte auf und blickte
abwesend durch das Fenster auf den asphaltierten Innenhof. Warum war sie immer
so gehemmt ihm gegenüber? Warum konnte sie sich nicht zumindest telefonisch ein
bißchen gehenlassen?
    «Sie stellen aber komische Fragen», sagte Lewis.
    «Es waren sehr signifikante Fragen», gab Morse
ziemlich hochtrabend zurück. «Lawsons Brille steckte in seiner Manteltasche, als
sie ihn fanden. Eine Brille mit Goldrand. Da steht’s.» Er tippte auf die Akte,
die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. «Und Miss Rawlinson sagt, daß er immer
eine Brille trug. Interessant, wie?»
    «Sie meinen... Sie meinen, daß es nicht Lionel
Lawson war, der —»
    «Ich meine ganz im Gegenteil, Lewis, daß es
tatsächlich Lionel Lawson war, der sich vom Turm gestürzt hat.»
    «Kapiere ich nicht.»
    «Nein? Die Sache ist so, Lewis. Kurzsichtige
nehmen unweigerlich die Brille ab und stecken sie in die Tasche, ehe sie springen.
Spuren von Glas im Gesicht eines Selbstmörders sind deshalb ein sicheres
Zeichen dafür, daß es kein Selbstmord, sondern Mord war.»
    «Aber woher wissen Sie, daß Lawson kurzsichtig
war? Wenn er nun—»
    «Ob kurzsichtig, ob

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