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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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mich angesichts der mangelnden Schwierigkeiten zurückgezogen hätte, seid ihr im Irrtum. Was mich unfrei machte, war der barbarische Glaube des Rates an meine Loyalität! Wenn ich zuvor noch an dem Wahnwitz der Stadt hatte zweifeln können, so gab ich mich nach jenem nächtlichen Ausflug zum Tor des heiligen Ägidius keinerlei Täuschungen mehr hin.
    Als dann gegen Abend Albert in meinem Hause erschien, war mir sogleich klar, daß nur seinem Hirn ein so schlauer Plan wie die Öffnung der Stadttore hatte entspringen können.
    Es gab in Arras keinen klügeren und ehrwürdigeren Menschen als Albert. In seinem Schatten – oder besser: in seinem Glanze – bin ich herangewachsen. Der Geist dieses heiligen Greises erleuchtete die Pfade meines Lebens.
    Ich kam als sehr junger Mensch nach Arras – ein Jüngling, der noch keine Schulen beendet hatte, ohne Kenntnis der Bibel, ohne Manieren. Man gab mich unter Alberts Obhut, als ich zwanzig Lenze zählte und im Grunde nichts weiter konnte als stumpf und teilnahmslos Gebete herunterleiern. Er nahm mich mit Herzlichkeit auf und umgab mich nicht nur mit Fürsorge, sondern mit einem Gefühl liebevoller Zuneigung, wie sie bisweilen reife und erfahrene Männer für Grünschnäbel hegen, in denen sie die Ambitionen ihres Lebens fortgeführt sehen. Ich schwöre beim lebendigen Gott, daß er seinen Nachfolger in mir gesehen hat!
    Um aufrichtig zu sein: derartige Neigungen habe ich nie gehegt. Gent hatte mich etwas kapriziös gemacht, und wenn sich auch mit dem Lauf der Jahre die Bilder meiner früheren Vergangenheit im Gedächtnis verwischten, so blieb doch meine Lust zu Allotria und Unabhängigkeit die alte. In Gent nimmt man das Leben ziemlich leicht, und da ich zu den reichen Jünglingen meiner Heimatstadt gehörte, gab ich mich häufig wenig schicklichen Lustbarkeiten hin. Ich ging weder Liebesfreuden noch Tafelgenüssen, ja nicht einmal solchen Zerstreuungen aus dem Wege, die strengen Geistern Lästerung dünken mochten. Doch nicht darum geht es! Die Zeit in Gent hatte mir die Gewißheit verliehen, daß ich, wenn ich auch wohl in Wirklichkeit nicht Herr meines Schicksals war, doch stets alles daransetzen sollte, es zu sein!
    Chastell, der damals mein Mentor war und sich der Gunst des Fürsten erfreute, behauptete, daß nichts abwegiger sei als die Überzeugung von der Unfreiheit des Menschen. Er pflegte – meist bei üppig bestellter Tafel – zu sagen, daß an der Freiheit des Menschen zweifeln mit dem Hintern denken heiße, statt mit dem Kopf. »Der Hintern scheint dann aus Glas zu sein. Der Mensch vermag an nichts anderes mehr zu denken als nur noch an den Schutz seines Allerwertesten, der zerbrechlich und äußerst delikat ist. Dabei«, fügte Chastell für gewöhnlich hinzu, »gab uns der gute Gott den Hintern, damit man da hineintritt.«
    Die Derbheit dieser Anschauung bedeutete durchaus nicht Oberflächlichkeit. Bei den überaus prächtigen Gelagen, in der Gesellschaft schöner Frauen und geistreicher Herren, reifte in mir die Überzeugung heran, daß ich es wert war, auf meine Weise und nach eigenem Gutdünken zu denken.
    Ich verließ also Gent als Jüngling – wenngleich als ein Jüngling, der von der prahlerischen Überzeugung beseelt war, schon soweit vernünftig zu sein, um auf eigenen Wegen zu wandeln. Doch ehrlich gesagt, als ich mich plötzlich allein sah, ohne den Kreis meiner Freunde und Zechkumpane, ohne Chastell und seinen mächtigen Schutz, fühlte ich mich rasch verunsichert. Die ersten Wochen in Arras verbrachte ich im Gebet, in Fasten und demütiger Bescheidenheit. Beim ersten längeren Gespräch mit Albert, bald nach meiner Ankunft, hatte ich einen tiefen Schock erlitten. Albert stellte mir eine scheinbar einfache Frage, die mir jedoch zuvor niemals in den Sinn gekommen war: »Woher nimmst du die Gewißheit, daß es ziemlicher sei, seinem Verstand zu vertrauen als der göttlichen Offenbarung? Glaubst du an Gott?«
    Ich erwiderte eifrig und aus voller Seele, daß ich an Gott glaube. Darauf fragte er mich, ob ich auch an den Teufel glaube. Wieder antwortete ich mit Ja. Und so fragte er weiter, ob ich denn glaube, daß Gott und Satanás um meine Seele kämpften. Ich aber antwortete, daß ich auch daran inbrünstig glaube. Er aber fuhr fort zu fragen, immer noch sanft und irgendwie freudig gestimmt, ob ich wohl glaube, daß sowohl Gott als auch der Teufel Einfluß auf meine Seele haben. Und ich entgegnete, daß das zweifellos so sei. »Und deswegen«, sagte

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