Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
Vom Netzwerk:
war. Alle warteten auf die Erwiderung des Bischofs von Utrecht, der mein Freund war. Er war mein Freund, aber ich hatte ihn zutiefst beleidigt, wie es bisher keiner in Gent gewagt hatte, und daher glaubten alle, daß strenge Bestrafung auf dem Fuße folgen würde. Ich bin ganz ehrlich, meine Herren, auch ich habe das angenommen.
    David schaute mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, halb zärtlich, halb spöttisch, an.
    »Jean, liebster Kumpan!« sagte er endlich. »Du tust mir leid. Das Merkwürdigste ist, daß das, was ich heute gesagt habe, du doch selber seit Jahren vertrittst. Dein ganzes Leben war schließlich vernünftig und frei von der Verlockung, Hirngespinsten außerhalb der eigenen Person nachzujagen. Aber du hast viel durchgemacht in der letzten Zeit, du warst einem furchtbaren Tode nah und hast über dein Schicksal mit bislang nicht gekannter Sorge nachgedacht…«
    Er unterbrach sich einen Moment und lachte hell auf, nicht ohne Spott.
    »Was mir das Amüsanteste an deinen Worten scheint, will ich dir gern sagen, aber ins Ohr.«
    Und er beugte sich zu mir und begann zu flüstern, wobei er vor Lachen prustete, so daß ich ordentlich die Ohren spitzen mußte, um ihn zu verstehen.
    »Jean!« sagte er. »Du Taugenichts! Ich weiß nur zu gut, daß du denkst wie ich und fühlst wie ich! Und so wird es immer sein. Aber was du heute dir selber nachsiehst, das verdammst du an mir! Denn von den Herrschern dieser Welt verlangst du tiefen Glauben und erhabene Gefühle, während du dir selber zu spotten herausnimmst…«
    »Das ist nicht wahr, Fürst!« sagte ich kaum hörbar, aber die Tränen in meinen Augen waren bereits versiegt. »Ihr tut mir Unrecht mit einem solchen Verdacht…«
    »Dich Halunken kenne ich«, erwiderte er, immer noch an meinem Ohr. »Den Fürsten möchtest du alle Lasten der Menschheit aufbürden, um dir selber frei eins zu pfeifen. Du behauptest, daß die Herrscher eben dazu Herrscher sind, um uns alle zu erlösen und besser zu machen. Du hast selber im Rat gesessen, so weißt du, was von den Herrschenden zu erwarten ist. Du verlangst von ihnen nicht nur geheiligte Überzeugung, sondern auch fanatische Herzen, während du selber kühl und unbeteiligt bleiben möchtest. Du bist mir vielleicht ein Schalk, lieber Jean! Sei in Gent mein Hofnarr!«
    Da erhob ich mich von der Tafel, was in Davids Gegenwart niemand ohne seine Erlaubnis gewagt hätte. Und nachdem ich mich erhoben hatte, sagte ich:
    »Es geziemt sich für mich nicht, solche Worte aus dem Munde Eurer Herrlichkeit zu vernehmen. Da Ihr Arras mit der Buße absoluter Leere bestraft, erlaubt mir von hinnen zu gehen, so wie der Rat von hinnen gegangen ist.«
    Worauf David schrie:
    »Ach, geh zum Henker, du langweilst mich!«
    Ich verließ den Festsaal und begab mich nach Hause. Die Nacht hindurch machte ich mich reisefertig, und das herbstliche Morgengrauen traf mich bei den Reisewagen, die die Bediensteten mit meiner Habe beluden. Bei Sonnenaufgang erschien der alte Chastell auf der Schwelle.
    »Ich komme von David«, erklärte er, »um dir zu sagen, daß dir der Bischof alles verzeiht, was bei dem Schmaus vorgefallen ist. Wenn du willst, bleib in Arras, wenn du in Gent oder Utrecht wohnen möchtest, bist du als guter alter Freund willkommen.«
    Ich aber erwiderte Chastell:
    »Liebster Freund! Sage dem Bischof, daß ich ihn hoch achte und liebe, daß ich mich aber mit der Absicht trage, die Städte Burgunds auf immer zu verlassen. Bei Gott, ich weiß selber nicht, warum ich das tue, aber daß ich es tue, ist gewiß…«
    Chastell schloß mich in die Arme und nahm Abschied von mir, und schon zum Gehen gewandt, übergab er mir von David einen Ring mit den Worten:
    »Das schickt dir der Fürst für den Fall, daß du beschlossen hast, auf immer fortzugehen. Und er befahl mir außerdem, zu sagen, daß du, falls du fortgehst, für dich selber noch nicht verloren bist!«
    Mit diesem Satz ging er. Ich aber trat wieder vors Haus, um die Wagen zu besichtigen.
    Ich fuhr durch das Tor des heiligen Ägidius, dasselbe Tor, durch das ich vor Jahren die Stadt zum ersten Mal betreten hatte. Der Tag war beinah frostig, aus den Pferdenüstern dampfte es. Die Wagen knarrten, und von der Luft wurden die Rufe meiner Fuhrleute weit in die Runde getragen. Ich hatte einen treuen Diener in Arras zurückgelassen, damit er meine Geschäfte liquidiere. Als er mich fragte, wohin ich fahre, wußte ich keine Antwort.
    Nachdem ich die Stadtmauern hinter mir gelassen

Weitere Kostenlose Bücher