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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dann runzelte sie die Stirn. »Eine bestimmte Art von Frau zu sein«, fügte sie hinzu. Dann sagte sie: »Vielleicht freunden sich Frauen leicht mit dir an, weil sie sehen, daß du zu Männern nicht so nett bist. Weil sie sehen, daß du keine Männer zu Freunden hast, vertrauen sie dir vielleicht.«
    »Und Severin?« fragte ich sie. »Wie ist er nett zu Frauen?« Ich machte nur Spaß; ich fand nicht, daß ich es wissen mußte.
    »Na ja, er ist anders«, sagte sie und sah weg. Sie redete nicht gern über ihn.
    Sie redete allerdings über seine Ringer. Sie kannte sie nach ihren Gewichtsklassen, nach ihrem Stil, nach allem, was ihr Winter über sie erzählt hatte - und er erzählte ihr alles. Vor den Heimwettkämpfen gab er ihr oft eine Übersicht des Kampfes - rechnete sich Punkte aus, schätzte ab, wer gewinnen oder verlieren würde. Und Utsch sah sich den Wettkampf bis zu Ende an und machte für ihn Notizen von ihren Eindrücken - wie der Kampf in der 64-Kilo-Klasse von seiner Voraussage abwich und warum. Ich hätte gedacht, daß er ihre Kameradschaft hierbei liebte; Edith und ich dachten beide, daß es etwas von der Last von ihr abwälzen würde. Aber nein, er ließ uns alle zu seinen Heimwettkämpfen antanzen. Utsch pflegte uns zu sagen, worauf wir bei jedem Kampf achten mußten. Ich kam mir manipuliert vor; es war, als brauchte er uns alle dort, um ihm zuzusehen - und er schien tatsächlich gern die Tribüne hinaufzuschauen und uns alle drei dort sitzen zu sehen.
    Utschs Lieblingsringer in der Mannschaft war ein 61 Kilo schwerer Schwarzer aus Lock Haven, Pennsylvania, namens Tyrone Williams. Er war ein schlaff aussehender Ringer, schläfrig, aber explosiv schnell, und es entzückte sie, daß er exakt soviel wog wie sie. »Wenn er jemanden zum Trainieren braucht«, pflegte sie Severin aufzuziehen, »dann schick ihn einfach zu mir.« Bei Übungskämpfen war Tyrone Williams ständig in Bewegung, immer auf der Hut, aber gegenüber auswärtiger Konkurrenz verkrampfte er sich. Er hatte eine sagenhafte Schnelligkeit und zwischen seinen Ausbrüchen ein Zeitlupentempo, das seine Gegner oft so einlullte, daß sie aus dem Tritt kamen. Aber er schien in jedem Kampf psychisch zu versagen. Er neigte zu Trancen, plötzlichen Totalausfällen, wodurch er so wirkte, als habe er in seinem Kopf einen verborgenen Gong die letzte Runde abläuten hören. Er schien in Gedanken schon auf dem Weg zur Dusche, während er sich immer noch steif auf der Matte bewegte, seinen Rücken abtastete und zu der hohen Decke und den grellen Lampen hinaufglotzte. Gewöhnlich wurde er geschultert, und dann schien er aufzuwachen - sprang auf, brüllte, hielt sich die dröhnenden Ohren und starrte seinen Gegner an, als sei er von einem Geist besiegt worden.
    Geduldig führte ihm Severin später die Aufzeichnung des Kampfes vor. »So, da kommt's, Tyrone. Da schläfst du ein - siehst du, wie dein Kopf da nach hinten baumelt, wie dein Arm einfach runterhängt? Siehst du, was für eine ... da über dich kommt?«
    »Heiliger Bimbam«, sagte Tyrone Williams ehrfurchtsvoll. »Unglaublich, also wirklich unglaublich ...« Und verfiel vor Unglauben angesichts seiner gesamten Leistung auf der Stelle in eine Trance.
    »Siehst du?« fuhr Winter fort. »Du hast seinen Knöchel losgelassen und über seinem Arm durchgehakt; du wolltest unter diesem Arm durchhaken, Tyrone - das weißt du doch. Tyrone? Tyrone!«
    Utsch liebte Tyrone wegen seiner beklagenswerten Trancen. »Es ist so menschlich«, sagte sie.
    »Utsch könnte ihm das abgewöhnen«, sagte ich im Scherz zu Severin. »Warum läßt du Utsch nicht seine Trancen bearbeiten?«
    »Tyrone Williams könnte sogar auf Utsch drauf eine Trance haben«, sagte Severin Winter.
    Ich fand das ein bißchen grob, aber Utsch lachte bloß. »Es spricht wenig dafür, daß jemand auf mir unter Trancen leidet«, sagte sie und drückte für Severin und mich das Kreuz durch. Edith lachte; sie war überhaupt nicht eifersüchtig. In jenen Tagen schienen wir uns alle sehr nah und gelöst zu sein.
    »Warum magst du ihn?« fragte Edith sie; sie meinte Tyrone Williams.
    »Er hat genau meine Größe«, sagte Utsch, »und ich finde, er hat eine wunderbare Farbe. Sie ist wie Karamel.«
    »Lecker«, sagte Edith, aber sie meinte es nicht so. Sie hatte keine Lieblinge unter diesen Ringern; für sie waren sie alle absolut nette und langweilige Jungs, und infolgedessen verhielten sie sich in ihrer Gegenwart linkisch. Winter hatte sie alle jeden Monat

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