Eine Mittelgewichts-Ehe
Schulter und setzte sich auf die Couch. »Komm schon, Severin«, sagte ich. »Die hast du früher auch in die Ringerhalle mitgenommen.« Ich mag mich mutig angehört haben, aber als ich Utsch ansah, bekam ich Angst. Sie sah mich mit der Sorte Mitleid an, die nur Wissende haben. Sie gab mir zu verstehen, daß ich es eigentlich gar nicht wissen wollte, aber ich fragte trotzdem: »Wer ist Audrey Cannon?«
8.
Der Ringerhallen-Liebhaber
Im September liefen die Ringer, die nicht Football oder Fußball spielten, auf der Stadionbahn Runden oder trotteten auf dem Querfeldeinkurs durchs Laub. Später würden sie auf der Holzbahn im alten Käfig jede Menge Runden zu laufen haben; solange das Wetter warm blieb, liefen sie im Freien. Sie waren nicht alle aus demselben merkwürdigen Holz geschnitzt wie George James Bender.
Sie spielten zusammen Basketball - komische, stummelig aussehende Gestalten, die mit dem Ball herumstümperten, den Korb glatt verfehlten und das Rückbrett zum Schüttern brachten. Zwei von ihnen fingen mit Handball an, bis einer gegen die Wand rannte. Andere Sportarten schienen sie zu frustrieren und zu langweilen, aber im Oktober nahmen sie viele Bewegungssportarten auf, entwickelten ihre Ausdauer und verloren etwas Gewicht - und wenn sie mit dem Aufbautraining fertig waren, begaben sie sich in die Ringerhalle, drehten den Thermostaten auf und »kugelten herum«.
Sofern sie nicht die Sommermonate hindurch gerungen hatten - und nur die Benders dieser Welt taten das -, erlaubte Severin ihnen nicht, richtig zu ringen. Es sei zu früh, sagte er; sie seien nicht in Form. Sie machten Partnerübungen, absolvierten gemeinsam mit halber Geschwindigkeit Bewegungsabläufe und Griffe. Gelegentlich wurden sie übermütig, und es brachen kurze Aufwallungen von echtem Zweikampf aus, aber die meiste Zeit drillten sie sich bloß. Auch saßen sie, den Rücken an die gepolsterten Wände gelehnt, auf den weichen Matten, ließen die Temperatur auf neunundzwanzig, zweiunddreißig, fünfunddreißig Grad steigen und bewegten sich gerade nur soviel, daß sie locker blieben.
Jeder, der sie in der Ringerhalle gesehen hätte, hätte sie für eine Ringer mimende Parodie-Mannschaft gehalten, die sich mit übertriebener, ihrem Daseinszweck widersprechender Zahmheit bewegte. Sie schleppten und kugelten und wuchteten einander auf fast altmännerhafte Weise herum. Manche von ihnen, müde vom Laufen in den Wäldern oder vom Sichanstemmen gegen die Gewichthebeapparaturen, schliefen sogar. Mit zwei Sweatsuits übereinander und einem Handtuch um den Kopf kamen sie in dieses Treibhaus und ließen selbst im Schlaf den Schweiß rinnen. Dicht an der Wand und in den Ecken der Halle, wo sie nicht aus Versehen überrollt werden konnten, lagen sie in Haufen wie Bären.
Severin Winter, ihr Trainer und Deutschdozent, schaute zwischendurch nur in der Ringerhalle vorbei, um nach ihnen zu sehen - wie ein Vater, der seine Kinder während der Zeit im Brutkasten überwacht. Er glaubte eigentlich nicht, daß diese WinterschlafStoffwechsel das Leben darstellten, wie er es kannte; noch nicht. Er wirkte seinen Ringern gegenüber fast verlegen, als ob er ihnen angesichts der Form, in der sie waren, nichts anzubieten hätte außer Hoffnung und ein paar Wörtern zur Vergrößerung ihres deutschen Wortschatzes. (Zu dieser Jahreszeit gab er denn auch gelegentlich Deutschkurse in der Ringerhalle.)
Aber in der Vorsaison, ehe Bender seiner Mannschaft angehörte - eben der Vorsaison, ehe er und Edith uns kennenlernten -, war Severin bedrückt. »Ich wußte, daß er bedrückt war«, sagte mir Edith, »weil er viel davon redete, wieder nach Wien zu ziehen. Das ist bei ihm ein Zeichen von Bedrücktheit.«
»Nein, nein«, widersprach Severin. »Es war vor allem die Schlaflosigkeit. Alles hat mit der Schlaflosigkeit angefangen.«
Ich hätte ihm sagen können, daß Schlaflosigkeit nach acht Jahren Ehe kaum der Rede wert ist. Wenn ich ihn damals gekannt hätte, hätte ich ihm ein paar weniger drastische Gegenmittel empfehlen können als das, das er sich aussuchte. (Als meine Tippse, die Sekretärin der Historischen Abteilung, das Manuskript meines dritten historischen Romans tippte, konnte ich nicht schlafen und wußte, daß ich es nicht können würde, bis es fertig war. Ich stellte fest, daß der einzige Ort, wo ich schlafen konnte, ihr winziges Apartment war, während ich zuhörte, wie sie weitere Seiten tippte. Sie hieß Miss Ronquist. Ich sagte Utsch, ich benützte
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