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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die große Büromaschine der Historischen Abteilung, um das Manuskript selbst zu tippen, und könne die Schreibmaschine nur nachts benutzen, wenn das Büro geschlossen sei. Es sei unmöglich, mich telefonisch zu erreichen, da die Vermittlung der Universität nach Mitternacht keine Anrufe mehr durchstellte. Es dauerte lange, dieses Manuskript zu tippen. Miss Ronquist war ständig müde und schaffte nur ungefähr fünf Seiten pro Nacht. Langsam für eine Tippse, aber sie fand andere Möglichkeiten, mir einschlafen zu helfen. Und als das Buch fertig war, ging ich nach Hause und schlief sehr gut mit Utsch. Alles war bestens; keiner regte sich auf.)
    Aber Severin hatte keine Erfahrung mit Schlaflosigkeit, und seine Reaktion war typisch unvernünftig. Man erfährt viel über jemanden durch die Art, wie er mit Schlaflosigkeit umgeht. Meine Reaktion - auf Schlaflosigkeit und auf das Leben im allgemeinen - besteht darin, nachzugeben. Meine am besten ausgebildeten Sinne sind passiv; mein Lieblingswort heißt sich fügen. Aber Severin Winter würde sich nichts und niemandem fügen, und als er unter Schlaflosigkeit litt, kämpfte er dagegen an.
    Es begann eines Nachts, als er wach neben Edith lag, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Sie war schläfrig, aber er lag da wie eine überladene Batterie. »Ich habe nichts zu tun«, verkündete er und stand auf.
    »Wo gehst du hin?« fragte Edith.
    »Ich kann nicht schlafen.«
    »Lies doch was«, sagte Edith. »Das Licht stört mich nicht.«
    »Es gibt nichts, was ich im Moment lesen will.«
    »Schreib doch was und lies dann das.«
    »Du bist die Schriftstellerin«, sagte er. »Eine reicht.«
    »Warum wartest du nicht, bis ich einschlafe«, sagte Edith, »und probierst dann ganz vorsichtig, ob du mit mir schlafen kannst, ohne mich aufzuwecken.«
    »Das hab ich letzte Nacht versucht.«
    »Wirklich?« sagte Edith. »Was ist passiert?«
    »Du bist nicht aufgewacht«, sagte er. Er zog seine Turnhose und seine Laufschuhe an und stand dann da, als ob er nicht wüßte, was er als nächstes tun sollte. »Ich fahre ein bißchen Fahrrad«, beschloß er. »Das wird mich müde machen.«
    »Es ist nach Mitternacht«, sagte Edith, »und du hast kein Licht am Rad.«
    »Ich kann die Autos kommen sehen. Oder ich kann sie hören, wenn sie ohne Licht herumschleichen.«
    »Warum sollten sie das tun?« fragte Edith.
    »Ich weiß nicht!« bellte er. »Warum tue ich das?«
    »Ich weiß nicht«, bekannte Edith. Ich bin die Schriftstellerin, dachte sie. Ich sollte seine Energie haben, ich sollte so verrückt sein.
    Aber ich glaube nicht, daß es einer von ihnen wirklich verstand. Als ich Severin sagte, daß mir seine Schlaflosigkeit begreiflich sei, sagte er mir, daß ich gar nichts verstünde. »Ich bin nicht wie du«, sagte er. »Ich habe schlicht nicht schlafen können. Ich bin radfahren gegangen. So hat es angefangen.«
    Es war eine warme, frühherbstliche Nacht. Er radelte durch die schlafenden Vorstädte, tsik-tsik glitt sein Rad an all den Menschen, die sicher in ihren Betten lagen, vorbei. Er passierte nur wenige erleuchtete Fenster, und an denen strampelte er langsam vorbei, aber er konnte selten etwas sehen. Er war froh, daß er kein Licht hatte; seine Fahrt war dadurch heimlicher. In der Stadt blieb er auf dem Bürgersteig; auf dem Land konnte er die vereinzelten Autos kommen hören und sehen und einfach von der Straße heruntergehen. In dieser ersten Nacht radelte er meilenweit - über den ganzen Campus zur Stadt hinaus und wieder zurück. Es war fast Morgengrauen, als er die Sporthalle aufschloß und sein Rad in den Umkleideraum trug. Er schlüpfte in einen Ringermantel, ging in die Ringerhalle hinauf, legte sich auf die große, warme Matte und schlief, bis die durchs Oberlicht dringende Sonne ihn weckte. Er nahm eine Sauna, schwamm und radelte rechtzeitig nach Hause, um Edith das Frühstück ans Bett zu bringen.
    »Es war herrlich!« sagte er ihr. »Genau das, was ich gebraucht habe.«
    Aber das schuf auch keine Abhilfe. Ein paar Nächte später war er wieder auf und strich durchs Haus. Draußen, beim Geräteschuppen lauernd, schimmerte sein weißes Rennrad im Mondlicht wie ein geisterhaft dünner Hund. »Es wartet auf mich«, sagte er Edith. Bald radelte er drei bis vier Nächte die Woche. Zunächst, wie bei Severin häufig, machte er seine Gewohnheit zu einer Glanzleistung an Ausdauer. Er testete sich auf Entfernung hin, ging die entferntesten Städte an und schaffte es, vor Tagesanbruch

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