Eine mörderische Karriere
sah es nicht gut aus. Eins war sicher: Sie würde Ivor noch nicht zeigen, daß sie Bescheid wußte. Zweifellos wollte er die Akten kopieren und dann zurückgeben.
Schnell erhob sie sich vom Schreibtisch und ließ das Fach unverschlossen. Sie zog ihre Jacke an, knipste das Licht aus und verließ so leise wie möglich das Gebäude. Doch als sie ihren Triumph anließ, sprang er mit seinem üblichen lautstarken Brummen an. Sie blickte zu Ivors Bürofenster hoch und glaubte für einen Augenblick sein Gesicht zu sehen, wie er zu ihrem Wagen hinunterschaute. Aber ganz sicher sein konnte sie nicht, denn die frühe Morgensonne, die tief am Himmel stand, spiegelte sich in seinem Fenster und stach ihr in die Augen.
Als Jane um halb neun wieder ins Büro kam, stellte sie fest, daß die Akten wieder an ihrem Platz waren. Sie konnte nur hoffen, daß Ivor nicht gesehen hatte, wie sie vom Parkplatz fuhr. Der Gedanke, daß Jane, wenn Ivor in einen Fall von Industriespionage verwickelt und Georgias Tod damit verknüpft war, jetzt selbst in ernster Gefahr schwebte, war nur schwer von der Hand zu weisen. Wäre Jane nicht so wütend gewesen — wütend auf sich selbst, weil sie die Akte in dem Fach gelassen hatte, und wütend auf Ivor wegen des Schwindels — dann hätte sie Angst empfunden.
Zur Mittagszeit fühlte Jane sich besser. Sie war überzeugt, daß man mit Arbeit seine Sorgen bekämpfen konnte, und in diesem Sinne war es ein guter Morgen gewesen. Sie hatte einen ganzen Stapel wichtigen Papierkram in Sachen Management erledigt. Ivor hatte sich den Rest des Tages freigenommen, also konnte sie es wenigstens noch eine Zeitlang aufschieben, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Es war ihr gelungen, zwei vielversprechende Ersatzkandidaten dazu zu überreden, Georgias Job in Erwägung zu ziehen, und Termine für erste Gespräche zu vereinbaren.
Außerdem hatte sie eine Sitzung mit der Marketing-Gruppe einberufen und sie um Aufklärung gebeten, welche Gefahren Prospero von potentiellen Konkurrenzprodukten drohten. Sie hatten ihr versichert, wenn Crystal pünktlich veröffentlicht würde, könne niemand damit konkurrieren. Es war zu spät. Das Marketing war zu weit fortgeschritten, als daß sie in dieser Saison noch jemand einholen konnte. In einigen Monaten vielleicht, wenn Crystal erst erschienen war und sich auf dem Markt etabliert hatte — aber wer wäre imstande, es mit der Technologie aufzunehmen? Ihr Vorsprung war zu groß. :
Angenommen, jemand könnte es damit aufnehmen, hatte sie gesagt. Nehmen wir einmal an, jemand hat Zugang zu unserer Technologie und kennt alle unsere Marketingpläne, würden wir in Schwierigkeiten kommen? Doch weder die Leute vom Marketing noch der Verkaufsleiter waren sonderlich besorgt wegen dieser Möglichkeit.
Bringt es nur pünktlich heraus, hatten sie ihr gesagt. Dann kann uns niemand etwas anhaben. Selbst wenn die gesamte Technikergruppe Tag und Nacht daran arbeiten würde, könnten sie nicht in weniger als sechs bis neun Monaten ein neues Produkt entwerfen, Absatzwege erschließen und damit auf den Markt gehen. Und selbst wenn sie es noch schaffen könnten, wären wir aus dem Schneider, denn bei Erscheinen ihres Konkurrenzprodukts würden wir mit Version 2 von Crystal herauskommen, die dann getestet, integriert und abgeschlossen sein wird. Georgia hat alles genau durchdacht, sagten sie ihr, wir sind nach allen Seiten abgesichert. Ein Mensch ohne Erfahrungen in der Software-Branche, in Marketing, könnte vielleicht glauben, daß er uns Konkurrenz machen kann, aber er würde dabei sein letztes Hemd verlieren. Keine Sorge.
Jane wurde mit einiger Erleichterung bewußt, daß Georgia ihr weit voraus gewesen war. Wenn Ivor, Red und Catherine als Gruppe zu Prospero gekommen waren, könnten sie auch als Gruppe gehen. Georgia hatte die Möglichkeit vorausgesehen und die Leute vom Marketing gewarnt. Sie waren vorbereitet. Natürlich wußte Ivor nichts davon. Wenn er sie heute morgen gesehen und gemerkt hatte, daß sie von den entwendeten Akten wußte — und falls er ihr Feind war — nun, dann könnte sie in ernste Schwierigkeiten geraten, doch wenigstens war Crystal selbst nicht in Gefahr.
Das Telefon summte, und die Sekretärin stellte Pat Hornby durch. » Hi , Jane, wie geht’s dir?«
Jane lächelte. Sie freute sich, Pats muntere Stimme zu hören. »Prima«, sagte sie, weil sie Pat nicht mit ihren Sorgen belasten wollte. »Wie geht es dir?«
»Überarbeitet und unterbezahlt. Hör mal, hättest du
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