Eine mörderische Karriere
nicht...«
»Regen Sie sich ab, regen Sie sich ab. Ich wollte Ihr Idol nicht beleidigen. Ganz klar, Georgia Arnott war die Heilige Jungfrau persönlich, wenn Sie es sagen. Die Tatsache, daß sie ermordet wurde, ist natürlich reiner Zufall.«
Jane setzte sich hin. In diesem Punkt, dachte sie, hatte Orloff recht. Sie wußte es, er wußte es. Entweder war Georgia bei einem Raubüberfall getötet worden, woran Jane nicht glaubte, oder der Mord hing damit zusammen, was für ein Mensch sie war. Und daß sie eine »Heilige« war, schien nicht dazu zu passen.
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte sie. »Und ich weiß nicht, was ich glauben soll. Könnten sich denn alle, die sie kannten und liebten, getäuscht haben?«
Orloff lächelte sein Wolfslächeln. »Ich schätze, das ist Ihr Problem, Jane. Denn falls Georgia wegen irgendeiner krummen Sache in Zusammenhang mit Crystal getötet wurde, sollten Sie auf der Hut sein. Und falls sie getötet wurde, weil sie nicht der Tugendengel war, für den Sie sie halten, werden Sie ziemlich niedergeschmettert sein, glaube ich. Ich weiß nicht weshalb, aber mir scheint, Sie haben zuviel in die Güte von Georgia Arnott investiert. Ich würde Ihnen dringendstens anempfehlen, erwachsen zu werden, oder sie werden böse über diese Sache stolpern. Und Sie wissen ja, wie ich dazu stehe.«
»Ihnen ist das verdammt egal«, sagte Jane bitter.
»Habe ich das gesagt? Überhaupt nicht. Bei Orloff Associates wünschen wir allen unseren Teilhabern nur Erfolg und Glück, gleichgültig, wie sie sich zum Teilhaber aufgeschwungen haben.« Seine Stimme war gelassen, und diesmal verriet nur das leichte Zittern eines Mundwinkels, das vielleicht ein Lächeln war, vielleicht aber auch eine Mißfallensgeste , das Vergnügen, das er angesichts dessen, was er als Janes unvermeidlichen Absturz betrachtete, empfand.
Die Leute bei Prospero waren hilfsbereit, wiesen sie höflich auf Dinge hin, die sie nicht bedacht hatte, gingen respektvoll miteinander um, waren taktvoll. Zweifellos waren es ihre »Flitterwochen«. Vermutlich hielten jetzt alle zusammen, weil Georgia tot war, weil Malcolm darauf bestanden hatte, daß es kein Crystal geben würde, wenn das Team Jane nicht unterstützte, und weil sie alle so viel in Crystal investiert hatten. Oder zogen sie alle an einem Strang, weil sie Angst hatten? Angst davor, was sie herausfinden würde, wenn es einen Riß im Team gab, in ihrem Zusammenhalt, der ihr mehr zu entdecken erlaubte, als sie wissen sollte?
Zweifellos war der Spannungspegel in der ganzen Firma außerordentlich hoch. Doch die Crystal-Gruppe war in noch schlimmerem Zustand, man litt unter dem unvermeidbaren Streß des Zeitabschnitts direkt vor der Lancierung eines neuen Produkts. Jane wußte, daß die Höflichkeit bloße Fassade war, war sich aber nicht sicher, was sich dahinter verbarg.
Seit Orloff ihr die Idee mit Industriespionage in den Kopf gesetzt hatte, merkte sie, daß sie mißtrauisch gegen Handlungen war, die sie unter gewöhnlichen Umständen mit Sicherheit nicht einmal besonders beachtet hätte — wenn es denn gewöhnliche Umstände in der Software-Branche gab, woran sie oft ihre Zweifel hatte.
Am Tag nach ihrer Sitzung mit Orloff beschloß sie, früher zur Arbeit zu gehen. Da das Release kurz vor dem Abschluß stand, arbeitete das Team jetzt immer länger, und es war nichts Ungewöhnliches, die Programmierer auch nachts noch in der Firma anzutreffen. Manchmal blieb Jane ebenfalls bis spät da, teilte die mitternächtliche Pizza mit ihnen und fungierte bei Bedarf als Resonanzboden. Andere Male kam sie sehr früh, etwa um halb sieben, um der Mannschaft Mut zu machen.
Aber heute würde wohl niemand von ihnen früh dasein , da sie gerade einen langen Arbeitsabschnitt beendet hatten und sie ihnen gesagt hatte, sie sollten sich entspannen. Sie hatte gesagt, daß sie ebenfalls lange schlafen würde, doch als sie früh am Morgen nervös und besorgt aufwachte, hatte sie es sich anders überlegt.
Um sechs Uhr fuhr sie bei Prospero vor und stellte überrascht fest, daß in ihrem Büro Licht brannte. Auf dem Parkplatz sah sie Ivors schmutziggrünen BMW auf dem ersten Abstellplatz stehen, der gewöhnlich in stillschweigender Übereinkunft für Malcolm freigelassen wurde. Als sie den Korridor zu ihrem Büro hinunterging, fragte sie sich, ob Ivor wohl das Licht eingeschaltet hatte, ob er vielleicht auch höchstpersönlich in ihrem Büro war. Und wenn es Ivor war, was hatte er vor? Alles, was er
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