Eine mörderische Karriere
summte. Es war Ariela, die zurückrief. Mit Mühe verbannte Jane die Gedanken an ihre Kinder und ihre Gefühle in den Winkel ihres Kopfes, wo sie die Dinge aufbewahrte, die zu schmerzhaft waren, um darüber nachzudenken, und schloß die Tür hinter ihnen. Die Wirkung war beruhigend.
»Hallo? Hier ist Ariela. Sie haben eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie wollen mit mir über Georgia Arnott reden?« Die Stimme war weich, melodiös, leicht stockend und hatte einen mädchenhaften Unterton, der Jane auf die Nerven ging.
»Ja, ich war eine Freundin von Georgia. Ich muß etwas mit Ihnen besprechen. Könnten wir uns treffen?«
»Natürlich. Simon hat mir alles über Sie erzählt. Ich würde Sie sehr gern treffen.«
»Gut«, sagte Jane, und ihre eigene Stimme klang ausdruckslos und kalt in ihren Ohren, verglichen mit der Frische und dem Überschwang Arielas. »Möchten Sie hierher in mein Büro in Markham kommen? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich zu Ihnen nach Hause komme, oder wenn wir uns irgendwo im Stadtzentrum treffen? Sie sind auch in meinem Apartment in Rosedale herzlich willkommen.«
»Nun, ganz wie Sie wünschen, Jane. Ich weiß, wie beschäftigt Leute in Ihrer Position sind. Warum kommen Sie nicht nach der Arbeit zum Tee hierher? Ich lebe im Annex, es ist also nicht weit von Ihrer Wohnung. Wann haben Sie Schluß? Um acht? Würden Sie dann gern zu Abend essen?... Nein, natürlich nicht, es macht mir überhaupt keine Mühe. Ich koche nicht, ich hole nur eine Auswahl an Salaten aus dem Feinkostgeschäft oder so... O nein, ich kann nicht zulassen, daß Sie etwas mitbringen. Na ja, wenn Sie unbedingt möchten... dann bis um acht.«
Jane legte auf und streckte die Zunge heraus. Sie versuchte sich den normalerweise so beherrschten, praktischen Simon mit einer Frau vorzustellen, die so süßlich klang wie Ariela. Eine Sexbombe, hatte Pat gesagt. Jane fragte sich, ob Ariela ihren Namen wohl selbst erfunden hatte. Bei näherem Überlegen klang er genauso unecht wie ihre Stimme. Sie schob das Thema Ariela erst einmal weg und wandte sich ihrer Arbeit zu. Es war noch viel zu tun, bevor sie das Büro verlassen konnte, und mit einem kleinen Stich wurde ihr bewußt, daß sie wohl für den nächsten Tag einen Termin mit ihrem Anwalt ausmachen sollte. Sie mußte die Auseinandersetzung mit Bernie auf Touren bringen, sie mußte zum Angriff übergehen. Sie konnte die Kinder nicht in dem Glauben lassen, daß sie sie nicht wollte. Bisher war alles, was sie verlieren konnte, etwas, das sie nicht hatte — das Sorgerecht für die Kinder. Jetzt, so schien es, ging es in dem Kampf um etwas Größeres, das sie nicht aufs Spiel setzen durfte, das ihr alles bedeutete. Sie zog einen Papierblock zu sich heran, schlug ihren Terminkalender auf und legte eine Liste von den im Verlauf der vergangenen drei Jahre gescheiterten Versuchen an, ihre Kinder zu sehen. Es war eine sehr lange Liste.
Ariela wohnte in einer eleganten alten Villa auf der Brunswick Avenue im Annex, einem der reizvollsten und farbigsten Teile Torontos. Hier lebten Einwandererfamilien, die sich in den vierziger und fünfziger Jahren in diesem Viertel niedergelassen hatten, als es noch billig war; Studenten der Universität von Toronto drängten sich in Pensionen oder bewohnten Zimmer in umgebauten Villen, und wohlhabende Yuppies hatten ihr Quartier in riesigen renovierten Häusern aufgeschlagen.
Die schmalen Straßen waren von alten Kastanienbäumen gesäumt. Die polyglotte Einwohnerschaft bemühte sich intensiv darum, miteinander auszukommen, man nahm organisierten Einfluß auf die Stadt, um den Bau von Schnellstraßen, Straßenerweiterungen und das Hochziehen von Apartmenttürmen zu verhindern. Es war ungefährlich, nachts im Annex spazierenzugehen ; an Sommerabenden saßen die Leute auf Klappstühlen draußen auf ihren umgebauten Vordertreppen, tranken Bier oder Hochprozentigeres und begrüßten ihre Nachbarn, die in gemächlichem Tempo mit Lebensmitteln oder Blumen aus den Läden des Viertels zurückkamen.
Ariela wohnte im zweiten Stock eines alten, nicht renovierten Reihenhauses, ihr Erkerfenster an der Vorderseite wurde von der Straße her von den belaubten Asten einer Kastanie vor neugierigen Blicken geschützt. Das Fensterbrett war voll mit staubigen Topfblumen, so daß die niedrigstehende Abendsonne kaum ins Wohnzimmer Vordringen konnte. An den Wänden hingen von der Decke bis zum Boden Drucke und Gemälde, ausgenommen dort, wo
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