Eine Nacht in Bari
renovierte und die Wassertiefe aus wirtschaftlichen Gründen reduzierte, was bedeutete, dass das Bullauge, das nun keinen Daseinszweck mehr hatte, zugemauert wurde.
Neben dem Trampolino befindet sich – heute noch – ein freier Strand namens Il Canalone. Der Name kommt daher, dass der Zugang zum Meer am Ende eines der Regenwasserkanäle liegt, die die Stadt umringen, um Hochwasserkatastrophen zu verhindern. Die Grenzlinie zwischen dem Trampolino und dem Canalone wurde von den sehnigeren und böseren Bademeistern des Privatstrands eifrig bewacht, damit nur ja kein proletarischer Besucher des öffentlichen Strandes ins falsche Revier geriet.
Während ich als Kind diesen Grenzschutz beobachtete, stellte ich meine ersten politischen Betrachtungen an, wenn auch unbewusst. Die Bademeister gehörten ganz klar derselben Schicht an wie die Eindringlinge, die sie zurückweisen sollten. Also arbeiteten sie für die Reichen und gegen ihre Klassenbrüder (ich muss allerdings zugeben, dass ich damals nicht den Begriff Klassenbrüder verwendete). Das war etwas, was ich nicht verstand, die ganze Situation bereitete mir so etwas wie intellektuelles Unbehagen.
Mir missfiel zwar die Vorstellung, dass mein schöner sauberer Strand von einer lärmenden und ziemlich aggressiven Horde gestürmt würde; aber genauso wenig gefiel mir, was mit den Jungs passierte, die aus dem Canalone ausbrechen wollten: Die Bademeister fingen sie ein und verjagten sie. Diejenigen, die sich wehrten oder auch
nur protestierten, fingen sich bei der ganzen Aktion auch leicht ein paar Ohrfeigen ein. Ich merkte, dass in meinem Inneren das Bedürfnis nach Schutz einerseits und das Unbehagen angesichts sozialer Ungerechtigkeit und der Verteidigung von Privilegien andererseits miteinander kollidierten, und versuchte, beiden gerecht zu werden, aber es wollte mir nicht gelingen.
Also ging ich wieder zum Bullauge des Schwimmbads zurück. Bei dieser Beschäftigung war die irritierende Präsenz des Klassenkonflikts und seiner Metaphern weniger spürbar.
Wir hatten den Strand von San Francesco aus der Ferne gesehen, waren durch die Pineta gefahren (für mich war dies vor allem der Ort kindlicher Frustrationen – ich erinnere mich noch gut, wie ich andere Kinder neidvoll dabei beobachtete, wie sie auf Rollschuhen hin und her flitzten. Das einzige Mal, als ich es versucht hatte, war ich unter allgemeinem Gelächter hingefallen) und waren dann am Anfang der Brücke stehen geblieben, die über den Kanal neben dem Trampolino zum Stadtteil San Girolamo führt. Wir waren folglich in unmittelbarer Nähe jener Grenze – einer der vielen offensichtlichen oder auch unsichtbaren Grenzen dieser Stadt – zwischen der Welt der Reichen und der der Armen.
Wir waren nicht ausgestiegen, die Straße war vollkommen leer. Wir hatten die Fenster heruntergelassen, und aus dem Radio ertönten leise wie in einem musikalischen Oxymoron die Klänge von Born to run .
»Erinnert ihr euch noch, wie hier die Leute mit schwarzen Schwimmreifen badeten, die in Wirklichkeit die Schläuche von Lastwagenreifen waren?«
ACHT
Natürlich erinnerte ich mich.
Ich erinnerte mich deshalb noch so gut, weil ich im letzten Häuserblock der Via Putignani aufgewachsen bin, fünfzig Meter von der Via Manzoni entfernt. Das heißt, praktisch auf dem Grenzstreifen.
Die Via Putignani ist eine der Straßen, die für die moderne, wohlhabende Handelsstadt Bari stehen. Sie beginnt am Corso Cavour beim Teatro Petruzzelli, führt dann am Palazzo Mincuzzi vorbei, der an die Galleries Lafayette erinnert, und endet schließlich nach genau einem von Oleanderstauden gesäumten Kilometer an der Piazza Risorgimento mit der Garibaldi-Schule, einem kolonialistisch anmutenden Bauwerk, in dem Zeffirelli seinen Film über den jungen Toscanini drehte.
Bevor rings um die Stadt die großen Regenwasserkanäle angelegt worden waren, war nach jedem schweren Regenguss der Sturzbach Picone entstanden, der die Häuser der Ärmsten mit schöner Regelmäßigkeit überflutete. Die Via Manzoni bildet die Grenzlinie zwischen den Stadtteilen Libertà und Murat.
Der Name der Letzteren stammt von Gioacchino Murat, der im Lauf seines Lebens erst gescheiterter Priesteranwärter, dann Wirt, einfacher Soldat, Offizier der Revolution,
General Napoleons, Marschall von Frankreich und König von Neapel durch Napoleons Gnaden war. In den wenigen Jahren seiner Regierungszeit, bevor er am Ende des napoleonischen Abenteuers erschossen wurde, erließ er
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