Eine Nacht in Bari
wie ich es immer tat, um Randy hineinzulassen.«
Diese Geschichte hatte ich noch nie jemandem erzählt. Ich hörte meinen eigenen Atem, ich blickte vor mich hin und spürte, wie eine dicke Träne sich löste und über mein Gesicht lief. Ich wischte sie mit dem Zeigefinger weg und rieb mir die Augen.
»Und während ich die Haustür aufhielt, kamen mir, ohne dass ich daran dachte, diese Worte in den Sinn.«
»Welche Worte?«, fragte Giampiero leise.
»Der Herr ist mein Hirte, er wird mich führen.«
SIEBEN
Wir blieben eine ganze Weile still sitzen und sagten nichts.
Die Reglosigkeit wurde schließlich von Paolo unterbrochen, der die Grappaflasche herausholte und einen großen Schluck nahm. Bevor er sie wieder in die Tasche steckte, bemerkte ich noch, dass sie bereits halb leer war.
Giampiero seufzte auf, als sei es ihm nach einer Gedenkminute im Stadion nun endlich erlaubt worden, sich zu rühren.
»Mann, was für eine Geschichte. Ich glaube ja, dass der Glaube an Gespenster hauptsächlich auf Erlebnissen wie diesem basiert. Man ist die Gegenwart von jemandem so gewohnt, dass man ständig denkt, seine Schritte zu hören, seine Art anzuklopfen, all diese Dinge. Wie wenn einem ein Bein amputiert wird und man trotzdem weiterhin den Phantomschmerz spürt. Und so beginnt man, wenn man die Lust oder die Notwendigkeit dazu verspürt, an die Existenz von Gespenstern zu glauben.«
Das war ein kluger Gedanke, dachte ich mit einer Spur Verwunderung und schämte mich gleich darauf für meine Verwunderung. Ich verachtete mich wegen meiner insgeheimen
Überheblichkeit. Sie war mir peinlich, und ich wollte schnell etwas sagen. Nämlich, dass das ein kluger Gedanke war, dass ich noch nie darüber nachgedacht hätte und dass ich seine Meinung teilte. Paolo kam mir mit seiner Sicht der Dinge zuvor und erhob sich von dem Mäuerchen.
»Gut. Ich glaube, wir sollten langsam zum Ende kommen«, sagte er. »Lasst mich nur noch eine letzte Runde durch die Orte der Vergangenheit machen. Morgen verschwinde ich endgültig auf die andere Seite des Ozeans, und wahrscheinlich komme ich nie wieder hierher zurück.«
In der Art und Weise, wie Paolo das sagte, schwang ein aggressiver Ton in seiner Stimme mit. Einen Augenblick lang meinte ich, etwas Pulsierendes, Bedrohliches hinter seinen Worten zu erkennen. Doch im nächsten Augenblick war es schon wieder verschwunden oder einfach nicht mehr wahrnehmbar.
»Wohin soll es gehen?«, fragte Giampiero, als wir ins Auto stiegen.
»Ich will die Gegend um das Orazio Flacco sehen, bis zum Stadion, die Messe, die Pineta und den Strand. Und auf dem Rückweg will ich beim Jolly vorbeifahren, weil es aus irgendeinem Grund, den ich nicht kenne, oft in meinen Träumen vorkommt. Manchmal ist es dort, an seinem Platz am Ende der Via Sagarriga Visconti, andere Male ist es in Chicago oder in Evanston, und dann vermischen sich die Gesichter von damals und von heute. Das habe ich so oft geträumt, dass ich mittlerweile nicht mehr weiß, ob das Bild, das ich im Sinn habe, überhaupt der
Realität entspricht. Deshalb möchte ich es mit eigenen Augen sehen und dann noch einen Schluck hiervon nehmen«, er klopfte auf die Jackentasche, in der die Grappaflasche steckte, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass er sie einfach austrinken wollte, jedoch noch keine Ausrede gefunden hatte, um dieses Bedürfnis vor uns zu rechtfertigen. »Dann könnt ihr mich auch ins Bett bringen.«
»Das Jolly gibt es schon lange nicht mehr«, sagte Giampiero.
Gibt es schon lange nicht mehr.
Nicht etwa nur das Jolly, dachte ich. Und stellte mir dann, nach einer wilden Assoziationskette, die Frage, wann ich das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht hatte. Ich fand keine Antwort und verlor das Gleichgewicht zwischen meinen Gedanken. Das sollte mir in dieser Nacht noch mehrmals passieren.
»Das macht nichts, ich will trotzdem dort vorbeifahren. Ich muss meine Träume lokalisieren. Auch einige meiner Albträume. Aber erst fahren wir Richtung Norden.«
Von der Grünanlage Isabella d’Aragona bogen wir in den Corso Vittorio Veneto ab und fuhren dann den Hafen entlang, der sich zu unserer Rechten erstreckte.
Der Hafen ist eine Welt für sich. Wer sich nachts darin aufhält, fragt sich, wie es möglich ist, dass ein so großer Ort mitten in der Stadt liegt, während es auch genauso gut umgekehrt sein könnte. Dass die gesamte Stadt in diesem riesigen, unbekannten Terrain enthalten ist, mit Teilen, die wie die Bühne
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