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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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beließ es dann dabei. In diesem Geschäft für gebrauchte Comics wurde ich ein Meister im Lektüre-Schnorren (diese Fähigkeit setzte ich später in den verschiedenen Buchhandlungen der Stadt, allen voran der Laterza-Buchhandlung, ein).

    An diesen Heften faszinierte mich alles, von den Zeichnungen bis zu den Dialogen, ganz zu schweigen von der raffinierten psychologischen Nuancierung der Figuren. Legendär waren allerdings die Titel. Es gab soziologisch angehauchte, die das Leben der Großstadtproletarier schilderten, wie Lando, der Frauenheld , und den beliebten Besteiger, der ein alpines Hobby zum Thema hatte.
    Es gab auch das Genre »Sexy-Fanta-Horror«. Ich bin sicher, dass es in den Redaktionen dieser Heftchen Genies gab, die damit beauftragt waren, sich Namen für die Figuren auszudenken. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an Walhalla, die blonde Indianerin; Tartan; Isabella, die Herzogin der Teufel ; oder, weniger ausgefeilt , Cosmine, die Sex-Atombombe .
    Am besten war allerdings die Unterkategorie der Vampirinnen. Sie trugen alle so schlichte, klingende Namen wie Zora, Sukia und Jacula. Der letztere war für die weniger fantasievollen Leser bestimmt, denn der Untertitel stellte mit einer gewissen Pedanterie klar, dass es sich um eine Pornovampirin handelte. Um der Möglichkeit vorzubeugen, dass jemand sein Geld zurückverlangte, weil er das Heft in der irrigen Annahme gekauft hatte, es handle sich um ein Geschichtsbuch.
    Wir gingen oft in dieses Geschäft, wie ich schon sagte, aber wir wussten, dass das riskant war. Die Via Bovio war auf der Höhe der Via Ravanas und damit ein gefährlicher Aufenthaltsort für uns Jungs von jenseits der Grenze.
    An jenem Nachmittag waren wir, als wir das Geschäft verließen, plötzlich von einer Bande jugendlicher Knastkandidaten
umzingelt. Ihr Anführer war uns wohlbekannt. Er war ein pickliger, fetter Riese, der im Sommer wie im tiefsten Winter ein geringeltes T-Shirt trug, das ihn noch dicker aussehen ließ. Er war höchstens vierzehn Jahre alt, aber er war bereits bösartig wie ein erwachsener Mann. Er sang gern neapolitanische Lieder und prügelte gern, manchmal beides gleichzeitig. Ganz besonders gern verprügelte er Leute wie mich und meinen Freund.
    Sein Spitzname war »Colin’ u’ ftinte«. ›Ftinte‹ oder ›fetente‹ bedeutet übel riechend. Ins Italienische übersetzt lautete der Name: Nicola der Stinker. Bei jener Gelegenheit konnten wir feststellen, dass er den Namen nicht zu Unrecht trug.
    Er und seine Freunde hatten an dem Nachmittag Lust, sich zu amüsieren. Und zwar mit uns. Zum Auftakt gaben sie uns ein paar Ohrfeigen, dann packte der Stinker meinen Freund am Hals und drückte ihn gegen die Wand.
    »È ver’ ca si’ rcchion’?« ( Es wird behauptet, du seist homosexuell? Entspricht das der Wahrheit ?)
    Mein Freund blickte sich um. Er sah das Gesicht des Pickligen, der ihn gegen die Wand drückte, und roch seinen zarten Duft. Er sah die Gesichter der anderen, die sich schon auf das Massaker freuten. Er dachte hektisch nach, und während der andere die Frage ungeduldig wiederholte, hatte er eine geniale Eingebung.
    »Ja«, sagte er und nickte heftig. Er meinte: Natürlich bin ich homosexuell, wie könnte man daran zweifeln?
    Der Picklige sah ihn mit aufgerissenen Augen fassungslos an, denn jetzt war ihm der Wind aus den Segeln genommen worden. Eigentlich wollte er ihn verprügeln und
dabei ein neapolitanisches Lied anstimmen. Aber mein Freund hatte ihn aus dem Takt gebracht, wenn ich so sagen darf, und das spürte er. Er lockerte seinen Griff, ließ Danilo frei und gab ihm einen Stups – nicht mehr als einen Stups – auf die Wange.
    »Si’ rcchion’, ma si”ntelligent’.« ( Du magst zwar homosexuell sein, aber man muss zugeben, dass du schlau bist. )
    Ich war bereit – falls auch ich zu meinen sexuellen Vorlieben befragt werden sollte – zu erklären, dass auch ich schwul war oder was auch immer ihr von mir wollt, solange ihr mich nicht totschlagt. Aber Stinker, der nicht an Niederlagen gewohnt war, weder physische noch dialektische, drehte sich einfach um und ging, und sein Gefolge mit ihm.
    Jenes Mal war es gut ausgegangen, aber nicht immer lief es so harmlos ab.
    Eines Abends – ich war kaum mehr als dreizehn – war ich zur Pizzeria um die Ecke gegangen, um ein paar Pizzas zu holen, und ich war nicht nur zerstreut, wie immer, sondern auch guter Laune. Ein Junge, der in unserer Gegend wegen eines fehlenden Schneidezahns als »u

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