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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Kontakt nach Hause verwehrt gewesen, und die Frauen nickten mit geheucheltem Verständnis. »Aber jetzt, wo du zurück bist, wird sie gewiss auch heimkehren«, sagte Chaja Nudelmann. Die übrigen Frauen nickten eifrig. Sie wünschten es Seev Feinberg, aber nicht minder auch sich selbst. Der Gedanke, eine Frau könne eines Tages weggehen und ein solch hohes Amt bekleiden, raubte ihnen den Schlaf. Sonia sollte gefälligst zurückkehren, um Brotlaibe zu versengen und Essen zu kochen und Wäsche auf der Leine zu vergessen. Vielleicht würde dann auch dieser Specht wieder abschwirren, der bei ihrem Weggang in die Moschawa geflattert war und mit seinem Schnabel immer wieder auf die Herzen der Frauen einpickte, sie zu der Frage zwang, ob ihr Leben wohl auch so aussehen könnte wie Sonias.
    Sonia kanzelte den Briefträger so scharf ab, dass er rote Ohren bekam. »Briefe, guter Mann, sind dazu da, gelesen zu werden. Ein Brief, der sein Ziel nicht erreicht, ist so gut wie nie abgeschickt. Ich frage mich, wie viele von den Briefen, die ich diese Woche aufgegeben habe, wirklich beim Adressaten angekommen und wie viele auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen Ihrer Tasche hier verschwunden sind.« Der Postbote sah Sonia pikiert an. Zugegeben, manchmal verzögerte er die Postzustellung ein wenig, wegen unwirtlicher Witterungsbedingungen oder wegen besonders faszinierender Heftchen, die bei dem Kiosk auf seiner Route eingetroffen waren. Aber von einer Frau so zusammengestaucht zu werden? Das konnte er nicht hinnehmen. Während er noch überlegte, was er der grauäugigen Hexe erwidern sollte, klopfte es an Sonias Bürotür. Der Postbote atmete erleichtert auf. Die Frauenbeauftragte würde sich endlich wieder Frauenangelegenheiten zuwenden, und auch er könnte endlich wieder seinen Angelegenheiten nachgehen (die, nach dem neu gekauften und in seiner Tasche vergrabenen Heft zu urteilen, ebenfalls Frauen betrafen, wenn auch unter anderen Aspekten).
    Aber Sonia blieb mit dem Rücken zur Tür stehen, die Augen auf den aufsässigen Postbeamten gerichtet. Ohne sich umzudrehen, erteilte sie ihre Anweisungen an die Sekretärin: »Leg die Berichte auf dem Tisch ab, ich werde sie vor der Sitzung heute Abend einsehen.« Die Bürotür öffnete sich. Sonia fuhr fort, den Postboten zu beschimpfen. »Wenn wir an die laufenden Verzögerungen denken, dann ist –«, doch abrupt brach sie ab, denn die Schritte hinter ihr erinnerten in keiner Weise an das Absatzklappern ihrer Sekretärin. Drei Schritte genügten ihr, um sie zu erkennen. Das war nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass Sonia mit einem außergewöhnlich musikalischen Gehör begnadet war, eine wahre Meisterin. Ihr Großvater väterlicherseits hatte als Klavierstimmer ein so feines Ohr besessen, dass er das Herstellungsjahr eines Klaviers aufgrund eines einzigen Akkords erkennen konnte, und das letzte Stück, das darauf gespielt wurde, an drei Akkorden. Sonia hatte zweifellos einiges von dieser Fähigkeit geerbt, denn anders wäre es ja kaum zu erklären, dass sie nur drei Schritte brauchte, um zu wissen, dass Seev Feinberg hinter ihr stand.
    Sie drehte sich nicht gleich um. Sie hatte Angst, dem Mann, der hinter ihr im Zimmer stand, ins Gesicht zu blicken. Die Schritte waren die alten, und das war wahrlich beruhigend. Aber was war mit den Augen? Dem Schnauzer? Solange sie mit dem Rücken zu ihm stand, konnte sie Seev Feinbergs Gestalt so im Gedächtnis behalten wie sie ihn sehen wollte, eine beeindruckende Bronzestatue, von der sie die Flecke der Monate vor seiner Abreise wegpoliert hatte. Wenn sie sich umdrehte, musste sie seiner wirklichen Gestalt begegnen. Einer Gestalt, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Deshalb hielt sie vor dem Umdrehen noch einen Moment inne, und vielleicht hätte sie noch länger gewartet, wenn Seev Feinberg nicht drei weitere Schritte getan und sie an der Schulter berührt hätte.
    Der Seufzer, der sich Sonias Mund entrang, schallte durchs ganze Haus. Sekretärinnen hörten auf abzuheften und hoben die Köpfe. Direktoren ließen das Gerede sein und spitzten die Ohren. Reinigungsarbeiter erstarrten mit Gummischieber oder Lappen in der Hand. Der gemaßregelte Postbote vergaß einen Moment das Heft in seiner Tasche. Solch einen Seufzer, in dem Erleichterung und Verlangen und Schuld und Sehnsucht verschmolzen, einen solchen Seufzer hatten sie im Leben noch nicht gehört. Denn in dem Moment, als Seev Feinberg ihre Schulter berührte, wusste Sonia, dass er

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