Eine Nacht, Markowitz
Land marschierten, die Fahndung nach Seev Feinberg abgeschlossen war, konnte er nur wieder so sein wie alle anderen. Er würde säen und ernten und wieder säen, vom Feld heimkehren und den Rücken der schönsten Frau, die er je gesehen hatte, erblicken. Sie würde sich nicht umdrehen. Sie würde ihn nicht ansprechen. Er würde säen und ernten und wieder säen. Vielleicht einen Feigenbaum pflanzen. Vielleicht einen Weinstock. Er würde ihr die zuckersüßen Früchte bringen, doch selbst wenn sie sie verspeiste, würde sie sich nicht zu ihm umdrehen. Er würde säen und ernten und wieder säen. Der Feigenbaum würde wachsen. Der Weinstock desgleichen. Es würde Tage geben, an denen er sich wünschte, endlich wieder Kugeln durch die Luft pfeifen zu hören, einen weiteren Krieg, etwas, das das Schweigen zwischen ihnen brechen würde. Doch das Pfeifen würde nicht kommen. Er würde säen und ernten und wieder säen. Und an den Sommerabenden würde er allein dasitzen, ein Mann unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und unter der Bürde seiner Schuld.
Jakob Markowitz versank in seine Gedanken, und, wie so oft, mündeten die Gedanken in unruhigen Schlaf. Er erwachte von heftigen Schlägen an seiner Tür. Das Schiff hatte längst angelegt. Alle Passagiere waren schon von Bord gegangen. Ob er so gut wäre, die Kabine zu räumen? Aufgeregt und verwirrt ging er in den Hafen hinunter, hielt nach Seev Feinberg Ausschau, musterte die Vorübergehenden, in der Hoffnung, ein Stückchen dicken Schnauzer zu entdecken oder einen Goldschimmer von Naamas Lockenschopf. Vergebens. Plötzlich sah er die korpulente Frau mit den vier Kindern, die er von der Passage bestens in Erinnerung hatte – voll Bewunderung hatten er und Feinberg beobachtet, wie ruhig und routiniert sie diese vier apokalyptischen Reiter lenkte. Sofort eilte er zu ihr, um sie zu fragen, ob sie seinen Freund gesehen habe.
»Den Hünen mit dem kleinen Mädchen? Klar. Wie könnte man den übersehen. Er ist als Erster von Bord gegangen. Hat alle überholt. Aber er hatte einen guten Grund. Seine Frau, Sie wissen sicher schon, er hat gesagt, seine Frau würde ihn seit Monaten erwarten. So ein Romantiker. Da haben ihn alle vorgelassen.«
Jakob Markowitz lächelte. Keine Spur Groll empfand er auf Seev Feinberg, obwohl er verschwunden war, ohne auf ihn zu warten. Denn genau nach diesem Mann hatte er sich ja gesehnt. Diesen Feinberg hatte er sich herbeigewünscht. Als er ihm in Europa begegnete, ein bloßer Schatten seiner selbst, hatte er einzig auf den Moment gehofft, in dem sein Freund wieder der Alte sein würde, neunzig Kilogramm strotzendes Leben. Er machte sich zwar Sorgen über den Augenblick, in dem Feinberg die Diskrepanz zwischen seinen Erwartungen und der Wirklichkeit entdecken würde, aber diese Sorge verblasste gegenüber der Erleichterung: Seev Feinberg würde sich pfeilschnell wieder in der Welt zurechtfinden. Kein Zweifel, dachte er, ohne das Kind wäre Feinberg nahe der Moschawa von Bord gesprungen und an Land geschwommen, in seiner glühenden Sehnsucht nach Sonia.
15
N och nie hatte die Zeit so träge ausgesehen wie an dem Tag, als Seev Feinberg von Bord ging und sein Herz nach Sonia verlangte. Die Minuten klebten aneinander, zähflüssig wie Wachs. Die Räder des Überlandbusses rollten langsam über die einspurig geteerte Straße, und Seev Feinberg erwog zwei Mal, von diesem kranken Motoresel abzuspringen und den Weg zu Fuß fortzusetzen. Alle paar Augenblicke sah er auf seine Uhr, was ihn dermaßen wütend machte, dass er grollend den Blick davon abwandte. Die ganze Zeit über besah sich Naama mit weit aufgerissenen Augen das neue Land. Hätte Seev Feinberg achtgegeben, wäre ihm aufgefallen, dass Naama beim Anlegen des Schiffes zu weinen aufgehört hatte. Aber Seev Feinberg war mit anderen Dingen beschäftigt, und so hing das Kind an seinem Hals, die Augen gebannt ans Busfenster geheftet, und die Mitfahrenden wiederum hefteten die Augen gebannt auf das Kind, das wirklich sehr niedlich war.
Endlich kam der Bus in die Nähe des Strandes, an dem Seev Feinberg Sonia nach der vorigen Reise getroffen hatte. Obwohl sie noch über eine Stunde Fußmarsch von einer Ortschaft entfernt waren, sprang Seev Feinberg von seinem Sitz auf. Unter den verblüfften Augen der Fahrgäste und den Fragen des Fahrers stieg er von dem ratternden Lasttier ab. Das Kind auf dem einen Arm und den Rucksack in der anderen Hand, stapfte er durch den Dünensand auf das blaue
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