Eine Nacht, Markowitz
für einen Scherz. »Sehr lustig, Seevik. Kann ich jetzt in die Sitzung zurückgehen?«
»Sie sind nicht bei dir?«
»Natürlich nicht. Warum sollten sie denn bei mir sein? Bist du sicher, dass du das alles nicht bloß erfindest, damit ich einen Tag früher zu dir zurückkomme?«
»Sonia, die Kinder sind weg.«
Sie suchten die ganze Nacht nach ihnen. Seev Feinberg und Jakob Markowitz trommelten die jungen Männer des Dorfes zusammen und durchkämmten die Felder, und Sonia lief die Straßen der Stadt ab, vielleicht waren die Kinder ja doch nach Tel Aviv gelangt. Bei Sonnenaufgang hatten alle rote Augen vor Schlafmangel und von ein oder zwei Tränen, die sie verstohlen abgewischt hatten. Um zehn Uhr morgens, als Jakob Markowitz, Bella und Seev Feinberg sich zusammensetzten, um das weitere Vorgehen zu überlegen, stürmte Sonia ins Haus in der Moschawa. »Sag mir, dass man sie gefunden hat.« Seev Feinberg brauchte sich keine Antwort für Sonia abzuringen, ihr genügte ein Blick in seine Augen. Um elf Uhr unterteilten sich die Dorfbewohner in Suchtrupps und nahmen die Fahndung wieder auf. Gegen Mittag stießen Polizeikräfte und Freiwillige aus den Nachbarorten dazu. Sie tauchten ins Wasser der Quelle, sie durchkämmten das Wadi, sie drangen durch die Kaktushecke und suchten die Häuser des verlassenen Dorfes ab, sie spähten mit gekräuselten Brauen übers Meer. Gelegentlich warfen sie einen Seitenblick auf die Eltern, um zu prüfen, ob sie noch bei Kräften waren. Bellas Haut war bleich, ihr Blick leer. Als einer der freiwilligen Helfer ihr ein Hemd zeigte, das er aus dem Meer gefischt hatte, sackte sie zu Boden. »Gehört das einem von ihnen?« Bella schüttelte verneinend den Kopf. Trotzdem stand sie nicht auf. Allein die Tatsache, dass das Hemd ihrem Sohn hätte gehören können, genügte, um sie völlig zu lähmen.
Während Bella noch totenbleich am Strand saß, war Jakob Markowitz so energiegeladen wie nie zuvor. Das Blut pochte in seinen Schläfen und trieb ihn hierhin und dorthin, die Freiwilligen rannten ihm nach, ohne ihn einholen zu können. Nach einiger Zeit begriffen die Helfer die Sinnlosigkeit dieser chaotischen Suche. Deshalb ließen sie Jakob Markowitz allein weitermachen und nahmen die systematische Fahndung wieder auf. Jakob Markowitz drehte immer neue Runden, rief immer wieder den Namen des Jungen, bis er auf Bella traf. »Komm«, sagte er, »wir suchen weiter.« Bella blieb sitzen, die Augen aufs Meer gerichtet. »Und was, wenn er dort ist?«, sagte sie mit einer Kopfbewegung zum dunklen Wasser. Jakob Markowitz kniete vor ihr nieder und nahm ihren schönen Kopf in die Hände. »Er ist nicht dort«, sagte er. »Er ist woanders, und wir werden ihn finden. Ich verspreche dir, wir werden ihn finden.« Er sagte das so bestimmt, und seine Worte waren so unfundiert, dass Bella in Tränen ausbrach. Da nahm Jakob Markowitz seine Frau zum Trost in die Arme.
Unterdessen verhandelte Sonia mit Gott. Obwohl sie bei der Arbeit als zähe Verhandlungspartnerin galt, versprach sie jetzt alles, ausnahmslos, solange nur die Kinder zurückkämen. Auch Seev Feinberg, der an normalen Tagen jeden Morgen geflissentlich ein Stück Wurst auf sein dick mit Butter bestrichenes Brot legte, entdeckte nun wieder den Gott der Juden. So beteten und suchten, suchten und beteten sie, bis sie die Scheinwerfer eines Autos erblickten, das auf die Moschawa zufuhr. Da es schon Abend geworden war und nicht viele um diese Uhrzeit ins Dorf kamen, hasteten Seev Feinberg und Sonia zurück, um zu hören, ob der Wagen Nachrichten mitbrachte. Die Scheinwerfer blendeten sie, und deshalb brauchte Sonia ein paar Sekunden, um zu erfassen, dass sie in das gepeinigte Gesicht des Irgun-Vizechefs blickte.
Seev Feinberg fiel seinem guten Freund um den Hals. Sonia stand wie versteinert da. »Gehen wir ins Haus«, sagte der Irgun-Vizechef. »Was ich euch jetzt sagen will, sollte lieber keiner mithören.« Als die Haustür aufging, schlug ihnen der Pfirsichgeruch entgegen. Fast achtundvierzig Stunden war es her, dass Jair Feinberg das Haus verlassen hatte, aber sein Körpergeruch hing deutlich im Raum. Unwillkürlich wandte der Irgun-Vizechef sich um und sah Sonia überrascht an. Er war wohlvertraut mit dem Orangengeruch der Frau, die er liebte, der Pfirsichduft jedoch traf ihn völlig unerwartet. Sonia wich dem Blick des Irgun-Vizechefs aus und ging Tee machen, und Seev Feinberg atmete den Geruch tief ein und schloss hastig die Fenster, damit er
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