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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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nicht verflog. »Ich habe im Radio von den Kindern gehört«, sagte der Irgun-Vizechef, »habe alles in Bewegung gesetzt, was ich konnte. Vor drei Stunden hat sich ein junger Mann aus Jotvata bei mir gemeldet. Sie sind unterwegs nach Petra.«
    »Was?!«
    »Dieser Mann, einer der besten Kämpfer, die ich je befehligt habe, ist kürzlich von der Tour zum roten Felsen zurückgekehrt. Ihr wisst, wie das ist, das Gerücht hat sich rumgesprochen, und andere junge Leute sind zu ihm gepilgert, um seine Erlebnisse zu hören. Vor einem Monat hat er einen Brief von drei jungen Menschen aus eurer Moschawa erhalten – alle frisch entlassen aus Eliteeinheiten –, die sich für die Route interessierten. Er hat ihnen die Strecke genau beschrieben, eine selbst gezeichnete Kartenskizze beigefügt und ihnen viel Glück gewünscht.« Der Irgun-Vizechef verstummte kurz, und das reichte Sonia, um wütend dazwischenzuplatzen: »Na wenn schon. Gibt es denn nicht genug junge Leute im Dorf, die sich für so eine unsinnige Tour interessieren könnten?«
    Der Irgun-Vizechef antwortete, ohne den Blick vom Holztisch zu lösen. »Gestern Abend sind drei Jugendliche bei ihm im Kibbuz angekommen, zwei Jungs und ein Mädel. Sie wollten Wasser auffüllen und sagten, sie gingen Richtung Süden, in die Berge von Eilat. Heute Morgen, als die Suchmeldung im Radio durchkam, schwante meinem Mann etwas. Er verfolgte ihre Spuren. Sie führten nach Osten.« Der Irgun-Vizechef hob die Augen vom Holztisch und sah Seev Feinberg gerade an. »Ich schlage vor, wir fahren los, um sie zu suchen. Ohne Armee und ohne Polizei, ohne irgendwas, was die Jordanier nervös machen könnte.«
    Seev Feinberg erhob sich und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Er erinnerte sich sehr gut an die langen Nächte, in denen er Jair mit einem leicht vorwurfsvollen Ton von Heldentaten erzählt hatte. Jetzt war der Junge losgezogen, um sich eigene Heldentaten zu suchen, und wer weiß, ob er zurückkehren würde. Sonia hob ihre grauen Augen zu Seev Feinberg auf. Einen Moment kam ihr derselbe Gedanke, der Feinberg quälte – seine Schuld, dieser ganze Wahnsinn, seine Schuld –, aber sofort verwarf sie den Gedanken wieder und stand auf, um ihren Mann zu umarmen. Sonia drückte den großen Mann an die Brust, sein Schnauzer kratzte ihren Hals, seine warmen, schmerzhaften Atemzüge trafen ihren Nacken. Der Irgun-Vizechef sah schnell weg. Nur durch Zufall war er hierher geraten, in das vertrauliche Gespräch zwischen Mann und Frau, zwischen dem Mann, mit dem er auf einem knarrenden illegalen Einwandererschiff Schach gespielt hatte, und der Frau, deren Geruch er mit geschlossenen Augen erkennen konnte. Kurz darauf löste sich Seev Feinberg aus der Umarmung seiner Frau, trat zu dem Irgun-Vizechef und klopfte ihm auf die Schulter. »Komm mit, wir rufen Markowitz.«
    Sie fuhren schweigend viele Stunden lang. Seev Feinberg hing seinen Gedanken nach und der Irgun-Vizechef den seinen. Neben den Gedanken dieses Ausmaßes sahen gesprochene Worte sehr klein aus, und deshalb schwiegen sie beide. Jakob Markowitz schwieg ebenfalls. In ein paar Stunden würden sie in Jotvata ankommen und sich verstohlen Richtung Grenze aufmachen. Von genau solchen Touren hatte Seev Feinberg geschwärmt, wenn er am Esstisch Erinnerungen aus der Jugendzeit aufleben ließ. Aber jetzt neben seinem Freund im fahrenden Auto, spürte er nichts außer seiner tauben Zunge im Mund.
    Hinter Be’er Scheva verfiel Jakob Markowitz auf dem Rücksitz in unruhigen Schlaf. Nun wandte sich der Irgun-Vizechef an Seev Feinberg und sagte: »Erzähl mir von dem Jungen.« Seev Feinberg war dankbar für die Bitte seines Freundes. Das Schweigen häufte sich schon seit geraumer Zeit um seine Füße wie verschlingender Wüstensand. Wenn er von dem Jungen spräche, läge ihm die Zunge vielleicht nicht mehr so schwer im Mund. Deshalb erzählte er nun von Jairs Leichtfüßigkeit (»Keiner in der Moschawa hat ihn eingeholt! Nicht mal die Hunde!«), von seiner Listigkeit, mit deren Hilfe er das Sahnefass aus der Molkerei geschafft hatte, von der Schläue, mit der er immer wieder das Versteck der Süßigkeiten aufstöberte. Der Irgun-Vizechef hörte schweigend zu, mit starrer Miene, abgesehen von einem leichten Zittern der Oberlippe. »Weißt du«, fuhr Feinberg fort, »bevor er geboren wurde, hab ich gedacht, es gäbe vielleicht irgendein Problem damit.« Der Irgun-Vizechef umklammerte das Lenkrad fester und starrte unverwandt auf die Straße.

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