Eine Nacht, Markowitz
neu. Er hatte keine poetische Ader, das stand für sie außer Zweifel, aber er gehörte – unleugbar – zu den Gestalten, über die Dichtung geschrieben wurde. Mit seinen blauen Augen und dem buschigen Schnauzer sah er ihr aus wie ein kleiner Odysseus, der zu Penelope heimkehrt, und hatte er auf seinen Fahrten auch gehurt, meisterte er jetzt sein Verlangen, trotz des Flehens der Sirenen. Und die flehten, daran bestand kein Zweifel: die schnurrbärtige Jaffa, die zwar sehr wohl wusste, dass sie ihn nach der Landung nicht würde halten können, aber wenigstens an Bord auf seine Gunst hoffte. Genauso wie Fruma Schulmann, jetzt Grünberg, deren Sahnebrüste ihm auf Schritt und Tritt vor der Nase wippten. Auch Miriam Katz, die zuerst stolz gewesen war, vom Schicksal mit dem Kommandeur der Operation höchstpersönlich angetraut zu werden, aber alsbald die Nähe des wahren Kommandeurs suchte. Jede Nacht ging Seev Feinberg an Deck, ignorierte die zwinkernden Augen, erwiderte mit höflichem Kopfnicken die mehr oder weniger deutlichen Avancen und sah Bella Seigermann in die Augen, bis ihm der Kopf so klar wie das Wasser wurde. Dann stieg er hinunter zu seinem Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.
Jakob Markowitz ahnte nichts davon. Er war derart versunken in seine Liebe zu Bella, dass er jede Minute, die er mit seinem Freund verbrachte, von ihr sprach. Er fragte Seev Feinberg nicht nach seinen Nächten, und der erzählte nichts. Schließlich und endlich gab es ja auch nichts zu berichten, denn seit er Bella Seigermann getroffen hatte, war er so rein wie ein Baby.
Eines Nachts wälzte sich Jakob Markowitz in seinem Bett, wusste jedoch, dass er damit den Kurs des Schiffes nicht würde wenden können, das geradewegs aufs Rabbinatsgericht zusteuerte. Als er die Stimmen im Kopf schließlich nicht länger ertrug, machte er sich auf die Suche nach anderen Stimmen. Vielleicht würde er dem Tuscheln der Pärchen an Deck lauschen, vielleicht hätte er Glück und träfe Seev Feinberg auf seinen nächtlichen Streifzügen, und vielleicht – sein Herz flatterte allein schon bei dem Gedanken – würde er Bella begegnen. Seit der Einschiffung hatte er nur wenige Minuten mit ihr verbracht, und die Worte, die sie dabei gewechselt hatten, konnte er, zu seinem Leidwesen, an den Fingern abzählen. Ihr bisher längstes Gespräch hatte in einem überfüllten Wartezimmer stattgefunden, einen Tag nach dem Kennenlernen, wenige Minuten vor der Trauung. Die Irgun-Kämpfer und ihre fiktiven Ehefrauen hatten vereinbart, keine festliche Kleidung anzuziehen, um besser zwischen heilig und profan, zwischen einer gewünschten und einer unvermeidlichen Eheschließung unterscheiden zu können. Aber Jakob Markowitz leuchtete in einem Licht, das die tadelnden Blicke von Michael Katz und das Lachen der restlichen Männer überstrahlte, und Bella Seigermann war zwar nicht besonders aufgeregt, strahlte aber ebenso hell im Licht schöner Frauen, von dem andere Frauen sich geblendet fühlen und das die Männer anlockt. Als sie noch auf den Rabbiner warteten, nahm Jakob Markowitz all seinen Mut zusammen und stellte sich vor Bella Seigermann auf. Sie überragte ihn um einen halben Kopf, und deshalb tröstete er sich mit dem Gedanken, ihr Blick fixiere nur aus alter Gewohnheit den Horizont und nicht ihn.
»Sind Sie aufgeregt wegen der Fahrt nach Palästina, meine Dame?« Dass sie wegen der Trauung selbst aufgeregt sein könnte, wagte er gar nicht erst anzunehmen. Aber er hoffte, er selbst könnte von der Aufregung profitieren, die das Heilige Land in ihr entfachte, schließlich erreichte sie es nur durch ihn.
»Durchaus. Ich habe viel über die Orangen gelesen.« Dabei ließ Bella Seigermann es bewenden, und Jakob Markowitz schloss erfreut, dass seine Frau sein Interesse für landwirtschaftliche Literatur teilte. Auf dem schmalen Bücherbord in seinem Haus im Dorf drängten sich, neben Jabotinskys Schriften, allerlei Ratgeber – über den Ursprung des Weizens und die Kultivierung seiner Arten, wie man pflanzt und veredelt und schmerzlos beschneidet. Bella Seigermann konnte zwar Goethe zitieren, wäre aber wohl kaum in der Lage gewesen, ähnlich fließend die Liste der Schädlinge aufzusagen, die den Rebstock zu vernichten drohen. Wenn sie von Orangen sprach, so deshalb, weil ihr zwei Zeilen des Gedichts aus der Feder des hebräischen Dichters eingefallen waren, das in der Zeitung gestanden hatte:
Der Orange gleich leuchtet die Sonne in goldener
Weitere Kostenlose Bücher