Eine Nacht, Markowitz
an, war aber immer noch weit plausibler als jeder Versuch, den Gesichtsausdruck des Irgun-Vizechefs mit gebrochenem Herzen zu erklären. So wurde die Heldenhaftigkeit des verwundeten Kommandeurs, der gekommen war, um seine Leute zu begrüßen, vom Gerücht zur vollendeten Tatsache, erhöhte den Status des Irgun-Vizechefs und schlug den letzten Nagel in den Sarg dessen, der einmal Efraim Hendel gewesen war. Als Letzter ging Jakob Markowitz von Bord. In den letzten Tagen der Überfahrt hatte er seine Kabine nicht verlassen, und alle waren sich einig gewesen, er sei einer selten heftigen Attacke von Seekrankheit zum Opfer gefallen. Aber als der Irgun-Vizechef Jakob Markowitz die Hand drückte, wusste er, dass es hier nicht um Seekrankheit ging, genau wie Jakob Markowitz wusste, dass keine Kugel den Irgun-Vizechef verwundet hatte. Jakob Markowitz und der Irgun-Vizechef sahen einander an wie ihre Spiegelbilder, und obwohl sie kein Wort wechselten, wusste jeder von ihnen alles, was er wissen musste.
Als Michael Katz zu einer blumigen Rede anhob, merkte der Irgun-Vizechef, dass er Feinberg nicht gesehen hatte. Er ließ den Blick zwischen den Männern umherschweifen. Grünberg war da und auch Moskowitz. Gottlieb und Bravermann zwinkerten sich vielsagend zu, und Markowitz stand mit trübsinniger Miene am Kai. Von Feinberg fehlte jede Spur. Obwohl er Katz’ Rede nicht stören wollte, die offensichtlich jeden Tag der Schiffspassage verbessert und ausgefeilt worden war, konnte der Irgun-Vizechef nicht an sich halten. Während Katz noch von der Heimat sprach, die die Ankömmlinge mit ausgebreiteten Armen willkommen heiße, unterbrach er ihn und fragte: »Und wo ist Feinberg?«
Katz war sichtlich verärgert über die Störung, riss sich aber zusammen, als er erkannte, wer der Frager war. »Ist unterwegs vom Schiff gesprungen«, sagte er. »Hat uns gezwungen, an eine Stelle zu fahren, die ihm genehm war, und ist dann einfach an Land geschwommen.«
In Wirklichkeit war die Sache nicht ganz so einfach gewesen. Seev Feinberg war zwar ein kräftiger Mann, aber die Tage an Bord hatten ihn geschwächt, und es war lange her, dass er durch die Wellen geschwommen war, eine illegale Einwanderin an der einen Hand und Schachfiguren in der anderen. Beim Sprung ins Wasser tönten ihm die Jubelrufe der Männer in den Ohren, und das Entsetzen der Frauen, die sich über die Reling beugten, wärmte ihm den Leib. Doch dann entschwand das Schiff der Sicht, und das Meer lag vor ihm ausgebreitet, mindestens fünf Kilometer bis hin zu Sonia. Er wusste nicht, dass sie ihn am Strand erwartete, und doch hatte ihn eine verborgene Macht gedrängt, das Schiff vor dem Einlaufen im Hafen zu verlassen, an einer Stelle, die – so hoffte er – dem Weg zum Dorf genau vorgelagert war. Die Idee war ihm einige Tage vorher gekommen, als er mit Bella Seigermann spät nachts an Deck gesessen hatte. Er hatte gerade lobend von Jakob Markowitz gesprochen, in dem fruchtlosen Versuch, auch nur ein klein wenig Interesse in ihr zu wecken. Bella lauschte höflich, war es aber bald satt, über ihren ersten Mann, diesen netten, aber so gänzlich unscheinbaren Typen zu reden, und fragte Feinberg, was er tun werde, wenn er Sonia wiedersehe. Nach langen Tagen auf See fühlte Bella Seigermann sich Sonia so nah wie ein Kind den Gestalten der Märchen, die ihm vorm Einschlafen vorgelesen werden. Denn jede Nacht hatte Seev Feinberg ihr ja von Sonias Taten vorgeschwärmt. So wusste sie nun schon, dass sie einmal eigenhändig als Geburtshelferin agiert und einmal ganz allein Pferdediebe in die Flucht geschlagen hatte, indem sie sich im Gebüsch versteckte und wie ein Wolf heulte.
Seev Feinberg musste seine Beistandsversuche für Jakob Markowitz aufgeben und schweifte in andere Gefilde über. Er erzählte ihr, wie er Sonias Ohrläppchen anknabbern und wie er den Orangenduft an ihrem Hals schnuppern und wie er flüchten würde, wenn sie ihn wegen seiner Seitensprünge verdreschen wollte, was durchaus möglich wäre. Je länger er so redete, desto mehr tat es ihm leid um die öden Stunden, die er auf dem Weg von Tel Aviv zum Dorf verbringen würde, und schließlich fasste er einen Entschluss. »Sobald wir uns Palästina nähern, werde ich dem Kapitän sagen, er solle an der Küste entlangfahren bis zur Höhe der Moschawa. Dann spring ich von Bord und schwimm zu ihr.« Bella Seigermann prustete los. Der Mond beschien ihr Haar und färbte es über und über in silbernen Strähnen, die Seev
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