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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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der Finsternis die Umrisse eines dichten, prächtigen und krausen Schnauzers zu erkennen.

6
    I n den langen Nächten, in denen Jakob Markowitz sich anstrengte, das Schiff kraft seiner Gedanken anzuhalten, ahnte er nicht, dass er darin einen Partner hatte. Tagsüber erfüllte der Irgun-Vizechef einwandfrei seine Pflicht. Er organisierte Waffentransporte, mischte in der Führung mit und diente als leuchtendes Vorbild für jeden Kämpfer und jede Kämpferin. Aber nachts lag er in seinem Bett und betete zu den Meeresströmen, Seev Feinbergs Rückkehr doch nur ein wenig zu verzögern. Als rationaler Mensch wusste der Irgun-Vizechef allerdings, dass von den Meeresströmen keine Rettung kommen würde, und deshalb richtete er seine Hoffnung auf den menschlichen Faktor. Zwanzig europäische Frauen auf einem Schiff – da musste sich doch eine finden, die Seev Feinbergs Herz eroberte. Wenn er Arm in Arm mit einer anderen heimkäme, würde Sonia vielleicht endlich aufhören, ihn zu verfluchen, denn das Gegenteil von Liebe ist ja nicht Hass und Fluchen, sondern dumpfe Gleichgültigkeit. Doch im Herzen wusste der Irgun-Vizechef, dass es nicht so kommen würde: Seev Feinberg würde keine andere Frau finden. Wie sollte er? Auch er selbst suchte ja emsig, suchte Tag für Tag einen Ersatz für diese stille Verliebtheit und klopfte doch immer wieder an Sonias Tür.
    Drei Tage vor der geplanten Rückkehr des Schiffes, als Sonias Haar wie ein Fächer auf seinem Bauch ruhte, fragte er sie, was sie tun werde, wenn Feinberg heimkehrte.
    »Ich nehme an, ich werde ihn ordentlich verdreschen.«
    »Vielleicht hast du keinen Grund dazu, Sonia. Vielleicht entspringt dem Herben Süßes, wie es in der Bibel heißt. Vielleicht sind wir das Ergebnis.«
    Sonia hob den Kopf. Dort, wo ihr samtenes Haar den Bauch des Irgun-Vizechefs gewärmt hatte, traf ihn jetzt ein kalter Hauch. Sie sah den Irgun-Vizechef verwundert an. Ein schöner, gutherziger und mutiger Mann, genau wie Seev Feinberg. Eines Tages würden sie sich beide in Straßennamen verwandeln und an einer belebten Kreuzung zusammentreffen. Warum sollte sie da einen dem anderen vorziehen? Aber nein, sie musste gerade deswegen bei ihrer Entscheidung bleiben. Sonst würde sie ihr Leben lang von einem schönen, gutherzigen und mutigen Mann zum anderen schönen, gutherzigen und mutigen Mann pendeln. Wie einer, der weite Länder durchmisst, aber nirgendwo lange genug bleibt, um eine Blüte zu treiben. Sonia legte sich wieder auf die Matratze. Ihr entschieden durchschnittlicher Körper erregte bei dem Irgun-Vizechef keineswegs durchschnittliche Gefühle. Er wollte ihrem Bauch gern Reime schmieden und ihre Wangen mit Worten zieren, aber da er mehr Soldat als Dichter war, hörte er sich versichern, er würde jeden umbringen, der es wagen sollte, die Hand gegen sie zu erheben. Er schwelgte in ihrem Leib, bis die Sonne aufging, und Sonia, die ihm mit ihrem Körper Wegzehrung gegeben hatte, machte die Tür auf und sagte: »Geh jetzt. Komm nicht wieder. Sag ihm kein Wort.« Dann küsste sie ihn zum letzten Mal und flüsterte »Efraim«, und der Irgun-Vizechef hörte einen Moment auf, der Irgun-Vizechef zu sein, und wurde wieder Efraim, zum letzten Mal in seinem Leben.
    Drei Tage später lief das Schiff im Jaffaer Hafen ein. Die Menschen an Land klatschten in die Hände, und die Frauen an Bord wischten sich den Schweiß von der Stirn. Heiß hier. Sehr heiß. Fruma Grünbergs nass geschwitzte Sahnebrüste fielen in sich zusammen. Jaffa Feinbergs Damenbart glitzerte in der Sonne. Trost schöpften die Frauen nur aus der Entdeckung, dass auch eine Tochter des Olymps wie Bella Seigermann Schweißdrüsen unter den Achseln hatte. Doch sie hatten sich zu früh gefreut: Die beiden runden Flecke unter den Kleiderärmeln zeigten den Männern nur, dass sie tatsächlich ein Mensch war, keine Truggestalt, und nun legten sie sich erst recht ins Zeug, um Bande anzuknüpfen, die das Ende der Reise überdauern würden. So rissen sich, als Bella Seigermann von Bord ging, zehn Männer um ihr Gepäck, während ihre rechtmäßigen Ehefrauen unter der Last ihrer Koffer schier zusammenbrachen. Der Irgun-Vizechef stand blass und gebeugt am Kai und begrüßte die Ankommenden. Sein Händedruck war so fest wie immer, aber sein Gesicht erschreckte die Kämpfer. Es ging sogar das Gerücht, er sei bei einem mysteriösen Einsatz einige Nächte zuvor von einer Kugel verwundet worden. Die Geschichte mit der Kugel hörte sich zwar abwegig

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