Eine Nacht, Markowitz
Feinberg überhaupt nicht bemerkte, weil er völlig in seinen Plan für die Rückkehr zu Sonia vertieft war. Plötzlich spürte er das heftige Verlangen, Jakob Markowitz seinen Plan aufzurollen. Er würde es doch verstehen. Das Unlogische wirkte nicht mehr unlogisch, wenn man es Jakob Markowitz erzählte. Denn warfen ihm auch die meisten Passagiere kaum mehr als einen Blick zu, so war er doch Seev Feinbergs bester Freund. Seev Feinberg sagte Bella Seigermann auf Wiedersehen und eilte zu der gemeinsamen Kabine, wo er die Tür abgeschlossen vorfand und daran einen Zettel, den er nur mit Mühe entziffern konnte: »Sehr krank. Bitte nicht stören.« In den nächsten Tagen klopfte er immer wieder an die Tür, zuerst, um sich nach dem Befinden seines Freundes zu erkundigen, und später, um wenigstens seine Unterhosen zum Wechseln anzufordern, aber die Tür blieb zu. Schließlich fand Seev Feinberg sich damit ab und nahm an, dass er seinen Freund bei der Scheidung wiedersehen würde. Als er sich, eine Minute vor dem Sprung ins Wasser, von Bella verabschiedete, bat er sie, ihm seinen Gruß auszurichten.
Seev Feinberg kraulte leichtarmig auf die Küste zu. Wenn er ermüdete, ließ er sich ein paar Minuten auf dem Rücken treiben, aber bald meinte er, Orangenduft zu wittern, und kraulte schnell weiter. Er schwamm und schwamm und schwamm und schwamm und schwamm und schwamm, und dann schwamm und schwamm und schwamm er weiter, und danach schwamm er noch ein Stück, und schließlich kam er an.
Zu dieser Zeit stand Sonia am Strand und spähte aufs Meer. Bei seinem letzten Besuch hatte der Irgun-Vizechef ihr gesagt, das Schiff sei unterwegs zum Jaffaer Hafen, und nur die Gewohnheit hatte sie veranlasst, weiter aufs Meer zu schauen und das Gesicht nicht gen Süden zu wenden, wo Seev Feinberg herkommen würde. An einem Strand wartet man anders als an einer Straße. Die Straße ist viel begangen, und das Herz hüpft jedes Mal von Neuem und sinkt dann wieder, schwankt zwischen Hoffnung und Enttäuschung wie ein Schiff auf hoher See. Aber vom Meer her kommt kein Mensch, nur mal ein kleiner Krebs oder eine tranige Möwe, rätselhafte Boten, deren Sprache man nicht versteht, weshalb man heraushört, was man will. An jenem Morgen sah Sonia dem Reigen der Krebse zu und verfluchte Seev Feinberg, inspiriert von dem Anblick. »Soll einer von denen deine Schamteile in die Zange nehmen.…Wenn er dich schnappt, wirst du seitlich gehen, wie er, dein Leben lang.« Aber ihre Stimme war schwächer als sonst, und ihre Beschimpfungen waren sauer geworden wie alte Milch. Nach so langer Erwartung war Sonias Zorn weitgehend verflogen. Gewiss, alle redeten davon, in der ganzen Jesreelebene war ihr Zorn berühmt, aber gerade deshalb hatte er sich so weit vom Realen entfernt, dass sie ihn kaum noch erkannte.
Auch den echten Seev Feinberg erkannte sie kaum. Als er dem Wasser entstieg – nackt, nass, die Muskeln zitternd vor Anstrengung und die Augen von den Meerestiefen eingefärbt –, meinte sie, sie hätte sich einen Neptun herbeifantasiert. Als er den ersten Schritt auf den Sand setzte, flüchteten die Krebse und ließen sie allein. Als er, erschöpft und beschämt und unendlich dankbar, vor ihr auf die Knie fiel, flatterten die Möwen kreischend auf. Da blickte Sonia den Mann an, der aus dem Meer gekommen war, und ihre Augen füllten sich mit Wut und ihr Mund mit Zornesworten, als stünde sie nicht schon viele Tage am Strand. Sonia begann, Seev Feinberg in den höchsten Tönen zu beschimpfen. Die Krebse buddelten sich in den Sand ein, und die Tauben flogen höher, konnten jedoch den Schmähungen nicht entfliehen. Seev Feinberg wiederum wollte nicht fliehen, sondern kniete im Sand, das Gesicht erhoben, um ihre Worte aufzusaugen, ein segensreicher Regen von Schmäh und Schimpf. Schließlich stand Seev Feinberg auf und küsste Sonia. Seine Lippen waren salzig vom Meer, und ihre Lippen waren süß vor Erwartung. Kaum hatte er seine Zunge aus ihrem Mund gezogen, schimpfte und fluchte sie schon wieder, wie eine entkorkte Flasche. Seev Feinberg lachte und schwang sie in den Armen hoch, und Sonia schimpfte noch mehr. Und so gingen sie den ganzen Weg ins Dorf, er trug sie auf Händen, und sie verfluchte ihn auf Schritt und Tritt.
7
A braham Mandelbaum hatte gerade ein goldgelbes Kalb geschächtet, als er durchs Fenster Seev Feinberg mit Sonia auf den Armen die Hauptstraße entlangkommen sah. Feinberg hatte nichts am Leib als einen abgetrennten Stoffstreifen
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