Eine Nacht, Markowitz
Ende eines angeknabberten Bleistifts zu empfangen, der erwartungsvoll angespannte Körper, als würde der Rücken furchtbar jucken und nur der gütigen Hand harren, die endlich die richtige Stelle findet und dort ganz doll rubbelt. Bella lächelte den suchenden Dichter an, und der stellte seine Suche ein. Obwohl er an der Schwelle des Durchbruchs gestanden hatte, beinah den passenden Reim auf das Wort »Heimatland« gefunden hätte (»Meeresstrand« und »Wüstensand« hatten es in die Endauswahl geschafft), so gab es doch der Reime viele, aber eine schöne Frau an seinem Tisch nur eine. Zwar gesellten sich häufig schöne Frauen an seinen Tisch: Rachel, die um ihre Kinder weint, und Esther, die ihr Volk errettet, und die vollbusige Jaël mit Siseras Haupt in Händen. Aber eine echte Frau aus Fleisch und Blut und ohne einen Spritzer Tinte, so eine Frau hatte schon lange nicht mehr seinen Tisch aufgesucht.
»Möchten Sie Platz nehmen, meine Dame?« Seine Stimme enttäuschte sie. Wenn sie seine Worte auf dem Zeitungsausschnitt las, hörte sie sie immer laut und kraftvoll, als würde ein Shakespeare-Darsteller sie mit starker Stimme und kühner Miene rezitieren. Doch seine Stimme klang zögernd und näselte etwas, als würde ein verschlucktes Katzenjunges in seiner Kehle stecken. Trotzdem setzte sie sich. Auch wenn sein Haar aus Schnecken bestand und seine Stimme näselnd klang, gehörte er doch zu den Wundertätern, die Blut in eine Rose, Wasser in Wein, die Sonne in eine Orange verwandelten.
»Ich habe ein Gedicht von Ihnen gelesen.«
Vielleicht hätte sie hellhörig werden sollen, als er sogleich wusste, welches Gedicht, hätte daraus entnehmen müssen, dass er bisher nur ein einziges Gedicht veröffentlicht hatte, aber Bella war der Skepsis müde. Stattdessen ließ sie den Dichter weitere Gedichte aus seinem Heft vortragen und allerlei Reime auf ihr Gesicht improvisieren. Schon lange hatte keiner mehr Bellas Gesicht besungen, fast hatte sie vergessen, wie positiv Liebesverse sich auf den Teint auswirken. Die Verse salbten die störende Trockenheit auf ihren Lippen wie Olivenöl und ließen die dunklen Tränensäcke unter den Augen schrumpfen, als wären sie nie da gewesen. Nachdem er so lange von ihrem Gesicht geredet hatte, war es nur natürlich, es in beide Hände zu nehmen und zu küssen. Sein Mund roch nach gehackter Leber, aber Bella, immer noch dankbar, dass die störende Trockenheit von ihren Lippen gewichen war, wies ihn nicht ab.
Sie verließen das Café und schlenderten durch die Straßen der Stadt. Noch nie hatte der Dichter solch einen kreativen Schub erlebt wie jetzt, als er mit Bella spazieren ging. Alles erschien ihm wert, besungen zu werden: eine Papiertüte auf der Straße, eine Gartenhecke, ein alter Mann am Stock. Und obwohl er all das hätte niederschreiben sollen (zum ersten Mal im Leben kam ihm Lyrik, die nicht von den Mühsalen der Juden handelte), es ihn auch die ganze Zeit nach einem Stift in den Fingern juckte, steckte er die Hände tief in die Taschen und spazierte weiter durch die Welt, statt sie zu beschreiben.
Bella Markowitz lag rücklings im Bett des Dichters, von leichter Langeweile ergriffen. Einige Minuten waren vergangen, seit sie ihn mit fast religiöser Inbrunst an ihrem Nippel hatte saugen sehen. Nun steckte er den Kopf zwischen ihre Beine, und Bella dachte wieder an seinen Mundgeruch nach gehackter Leber und ekelte sich ein bisschen. Trotzdem stand sie nicht auf. Um einen Ortswechsel vorzunehmen, muss der Mensch glauben, es andernorts besser zu haben. Als sie auf dem Rücken im Bett des Dichters lag, konnte Bella sich keinen solchen Ort vorstellen. So lange hatte sie sich das Treffen mit dem Mann hinter den Worten gewünscht, so lange hatte sie geglaubt, ohne Markowitz würde alles so sein, wie es sein sollte. Und nun war Markowitz weg, und der hebräische Dichter war da, und der Kloß in ihrer Kehle wollte nicht schwinden.
Schließlich beendete der Dichter sein Tun und legte sich neben Bella. Da sie den Geruch seines Atems nicht mehr ertragen konnte, bat sie ihn, ihr etwas zu essen zu bringen. Er ging in die Küche und kam mit einem Teller voll Orangenschnitzen zurück. Bella betrachtete die Frucht interessiert. Seit ihrer Einschiffung hatte sie keine Orange mehr gegessen, obwohl Jakob Markowitz ihr jede Nacht Orangen auf die Türschwelle gelegt hatte, weil er sich an Bellas Äußerung erinnerte, sie würden ihr gut schmecken. Bella Markowitz hatte Jakob Markowitz’
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