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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Babygeschrei entgegen, ein verzweifeltes und unstillbares Weinen, das alle Hoffnung auf Beruhigung längst fahren gelassen hatte und jetzt nur noch aus Gewohnheit weiterging. Die Ohren der Zuhörer zweifelten keine Sekunde: Der Säugling im Haus schrie schon lange, möglicherweise seit Abraham Mandelbaums Weggang, denn seine Stimme klang unerträglich erschöpft und traurig. Jakob Markowitz ging hinter Abraham Mandelbaum durch den Vorgarten und die Haustür, geradewegs in das Zimmer, in dem Rachel Mandelbaum saß und das schreiende Kind mit glasigen Augen anstarrte.
    Rachel Mandelbaum machte kein Zeichen, dass sie die Heimkehr ihres Mannes bemerkt hatte. Zwar war einer wie Abraham Mandelbaum, dessen Körper den halben Raum ausfüllte, kaum zu übersehen, aber der Schächter verlor beim Betreten seines Hauses an Größe und Gewicht, sodass nur noch der Schatten eines Riesen von ihm übrig blieb. Abraham Mandelbaum wandte seiner Frau einen flehenden Blick zu, von der Sorte, die nicht für fremde Augen bestimmt ist. Jakob Markowitz fühlte sich fast überall fremd, aber erst recht in diesem Wohnzimmer, das von dem Kummer eines Mannes und einer Frau und eines Säuglings erfüllt war. Deshalb trat er ein paar Schritte zurück und wollte schon gehen, doch das Weinen des Babys hielt ihn auf. Erst gestern hatte er ihm aus dem Mutterschoß geholfen, wie konnte er es da jetzt in seiner misslichen Lage allein lassen. Jakob Markowitz durchquerte das Wohnzimmer und machte vor Rachel Mandelbaum halt, das Bett mit dem Säugling zwischen ihnen.
    »Nimm ihn auf den Arm.«
    »Ich kann nicht.«
    »Dann nehme ich ihn.«
    Jakob Markowitz beugte sich über das Bettchen und hob den Säugling hoch. Rachel Mandelbaum schloss erleichtert die Augen. Den ganzen Tag hatte sie dagesessen und das Kind angesehen, hatte sich geschworen, nicht die Augen von ihm abzuwenden, bis sie endlich all die Dinge empfände, die sie als Mutter angeblich empfinden sollte. Zärtlichkeit, Mitgefühl, eine nie gekannte Nähe. Sie hatte in das kleine Gesicht gestarrt, bis ihr die Augen schmerzten, hatte darin gesucht, was eine Frau im Gesicht ihres Kindes finden sollte – erhabene Schönheit, unwiderstehliche Süße, einen Ausdruck, der bedingungslose Liebe entzündet. Doch das Gesicht, das ihr entgegenblickte, erschien ihr eher wie das eines jungen Äffchens, und wenn sie bedachte, dass sogar Affenweibchen zuweilen mütterliche Gefühle für verlassene Menschenbabys zeigen, ließ sie eine alles durchdringende Scham wieder erstarren.
    Als Jakob Markowitz den Säugling hochnahm, schrie der Kleine noch lauter. Abraham Mandelbaum verschränkte besorgt die Finger, aber Jakob Markowitz lächelte zufrieden. Wenn das Kind im Arm eines Menschen noch mehr weinte, war das doch ein Zeichen, dass es den Glauben an die fürsorglichen Kräfte dieser Arme noch nicht verloren hatte. Der Mensch fordert ja nichts von dem, den er für unfähig hält. Der Säugling verlangte Trost, und Jakob Markowitz wollte ihm den spenden. Als er sah, dass das Baby sich in den vier Wänden des Hauses nicht beruhigte, winkte er Abraham Mandelbaum, mitzukommen, und trat auf den Hof hinaus. Kaum waren sie draußen, ließ das Weinen des Kindes nach, und sobald sie aus dem Hof auf die Straße traten, hörte es ganz auf.
    Jakob Markowitz und Abraham Mandelbaum schritten nebeneinanderher. Vorher auf dem Weg zu Abraham Mandelbaums Haus hatten sie nur zu zweit geschwiegen. Jetzt hatte sich der Schweigebund auf drei erweitert: Jakob Markowitz, Abraham Mandelbaum und ein zufriedenes Baby, das vom ersten an den zweiten übergeben wurde. Jakob Markowitz kicherte. »Du hältst ihn so wie die Rabbiner am Thorafreudenfest die Thorarolle halten.« Abraham Mandelbaum antwortete nicht, griff das Kind nur um und verlangsamte sein Tempo, da er merkte, dass Jakob Markowitz drei Schritte brauchte, um mit einem seiner mitzuhalten. Sie gingen lange, ihre Füße trugen sie von den Dorfstraßen auf die Feldwege und zum Schluss zu dem Johannisbrotbaum. Beim Anblick des Baums furchte sich Abraham Mandelbaums Stirn, und seine Augen verhießen nichts Gutes.
    »Gott weiß, wie viele Stunden sie hier gelegen hat, bis du kamst. Allein, ganz allein. Kein Wunder, dass sich ihr Geist verwirrt hat.« Jakob Markowitz, ein Experte auf dem Gebiet der Einsamkeit, wusste sehr wohl, dass sich ein Johannisbrotbaum darin nicht von einer bezogenen Matratze unterscheidet. Der Mensch kann überall einsam sein, auch mitten in der Menge. Doch er

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