Eine Nacht, Markowitz
Orangen aus dem Fenster geworfen, sie in die Felder geschleudert, wie Persephone die Granatäpfel des Hades hätte wegwerfen müssen. Ihre erste Orange im Land Israel wollte Bella nicht aus Jakob Markowitz’ Händen erhalten. Sie hatte sich gelobt, der Frucht zu entsagen, bis die Gelegenheit ihrer Süße angemessen wäre. Jetzt, da die Orangenschnitze von keinem anderen als dem Dichter persönlich kamen, der sie mit Orangen hergelockt hatte, konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Als Bella die Hand nach der goldenen Frucht ausstreckte, erinnerte sich der Dichter an die Zeile in seinem einzigen veröffentlichten Gedicht und sagte feierlich: »Der Orange gleich leuchtet die Sonne in goldener Pracht, erfüllet das Herz mit Kühnheit und Macht!«
Bella lächelte und biss in einen Fruchtschnitz. Gleich darauf fing sie an zu weinen. Vergeblich versuchte der Dichter, den Grund zu erfahren. Sie murmelte nur immer wieder: »Ich mag ja gar keine Orangen.«
Je länger Bellas Tour dauerte, desto kürzer schlief Jakob Markowitz. Schließlich trieb es ihn schon vor Tagesanbruch aus dem Bett. Er nahm einen Laib Brot und ging hinaus, um die Tauben zu füttern, aber selbst die schlummerten noch friedlich. So wartete er bis Sonnenaufgang und lenkte seine Schritte dann zum Laden des Schächters. Abraham Mandelbaum begrüßte ihn mit einem warmen Händedruck, den Mandelbaum für freundschaftlich hielt und Markowitz als Knochenbrecher empfand. Das mit dem Händedruck hatte am Tag nach Rachel Mandelbaums Niederkunft angefangen. Frühmorgens hatte Markowitz ein hartes Pochen an der Tür gehört und war hastig aus dem Bett gesprungen. Während er sich noch fragte, ob die Kerle aus Tel Aviv wieder da waren, um ihn zu verprügeln, sah er auf der Schwelle Abraham Mandelbaum, in Händen etwas, das einmal ein Lamm gewesen war.
Einen Moment standen sie sich verlegen gegenüber, da beide sich erinnerten, wie Abraham Mandelbaum das letzte Mal an Jakob Markowitz’ Tür geklopft hatte. Damals hatte Mandelbaum kein Lamm, sondern ein Messer dabeigehabt, und Markowitz hatte nicht die Haustür geöffnet, sondern war mit Seev Feinberg in der Eisenbahn geflüchtet, wo sie sich dann angenehm über den Leberfleck auf Rachel Mandelbaums linker Brust unterhielten. Im nächsten Moment siegte Abraham Mandelbaums Freude über seine Verlegenheit, und er streckte Jakob Markowitz die freie Hand hin. »Herzlichen Glückwunsch uns beiden«, sagte Abraham Mandelbaum, und Jakob Markowitz, dessen Hand in der des Schächters knackte, dachte sich, wie gut, dass diese Begegnung mit Abraham Mandelbaum zu Friedenszeiten stattfindet.
»Ich habe ein Dankesgeschenk mitgebracht«, sagte Abraham Mandelbaum. »Wir werden es gemeinsam essen.« Jakob Markowitz dankte ihm von Herzen und schlug vor, das Geschenk in Mandelbaums Haus zu verspeisen, bei der frischgebackenen Mutter und dem Baby, das er schrecklich gern sehen wollte. Abraham Mandelbaum senkte die Augen und stammelte etwas von Rachels Schwäche, und Jakob Markowitz war großzügig genug, verständnisvoll zu nicken. Jakob Markowitz und Abraham Mandelbaum teilten das Lammfleisch, das üppig und weich wie Samt war, unter sich auf, teilten auch das Schweigen, das ebenfalls samtig, glatt und dicht und weich war. Jakob Markowitz fragte sich nicht, wie viele Menschen Abraham Mandelbaum umgebracht hatte, und Abraham Mandelbaum rätselte nicht, wann Jakob Markowitz endlich die Ärmste freigeben würde, die er geheiratet hatte. Wenn sie an etwas anderes als das Lammfleisch dachten, dann an das rotgesichtige Baby, das sie gestern kennengelernt hatten, an seine gespreizten Fingerchen, an den Flaum auf seinem Kopf, an sein vehementes Schreien: »Ich bin da, ich bin da, ich bin da.« Und weil das Baby nicht hätte da sein können ohne Abraham Mandelbaum und Jakob Markowitz – der eine hatte es mit seinem Samen gezeugt, der andere mit beiden Händen ins Leben gezogen –, so war ja seine bloße Existenz schon Zeugnis und Beweis für ihr eigenes Dasein.
Nach dem Essen stand Abraham Mandelbaum auf, um nach Hause zu gehen. Nach einigen Schritten hielt er inne und drehte sich um. »Vielleicht kommst du doch mit. Rachel ist müde, und deshalb wird der Besuch kurz ausfallen, aber das Kind musst du ja sehen.« Mit vollen Bäuchen und sattem Lächeln machten die beiden sich auf zu Abraham Mandelbaums Haus. Aber als sie die Gartenpforte erreichten, verfinsterten sich ihre Gesichter. Aus dem Hausinneren schallte ihnen lautes
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