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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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auch so gemeint.«
    Jakob Markowitz steckte die Hände in die Hosentaschen und wandte sich zum Gehen. Er hatte keine drei Schritte getan, als er Feinberg rufen hörte: »Wo läufst du denn hin, Kamerad? Wenn wir drinnen nicht essen können – dann essen wir eben draußen.«
    Das Brot war hart, und der Käse hatte schon bessere Tage gesehen. »Du kannst von einer Frau wie Sonia nicht verlangen, Brot zu backen«, erklärte Feinberg. »Bestenfalls würde sie den Teig verbrennen, schlimmstenfalls dich persönlich.« Aber es fand sich ein Granatapfel im Haus, der früher gereift war als seine Genossen, und der wurde nun feierlich im Hof durchgeschnitten. Seev Feinberg griff sich einen weiteren Haufen Kerne mit der schon saftroten Hand. »Klein und süß«, sagte er und schob sich die Kerne in den Mund. »Kleine und süße Sünden. So soll es sein, Markowitz, klein, süß und unschädlich. Nicht wie du, tust dein Leben lang keiner Fliege was zuleide und begehst dann auf einmal eine Sünde, die dir im Hals stecken bleibt, kannst sie nicht ausspucken und nicht runterschlucken, nur dran ersticken kannst du. Hast du schon mal gehört, dass jemand an einem Granatapfel erstickt wäre? Nein. Wirst du auch nicht hören.«
    Jakob Markowitz nahm sich auch was von dem Granatapfel. Die Frucht war süß, süß war auch sein Gespräch mit Feinberg, aber Bellas Hemd war noch süßer. Als er es Feinberg sagte, blickte der ihn verächtlich an. »Sich mit einem Hemd schlafen legen und hoffen, dass beim Aufwachen eine Frau drinsteckt? Du bist total auf den Kopf gefallen. So was wird nicht passieren. Nicht jetzt, nicht in einem Jahr, nicht in zwanzig.«
    »Dann in dreißig oder vierzig. Weißt du, Feinberg, vielleicht niemals. Aber ich hoffe, und das ist auch schon was. Und wenn ich genug hoffe, ganz, ganz fest, dann verwandelt sich diese Hoffnung vielleicht in etwas Reales. Schau uns doch an, schau dir dieses Land an. Zweitausend Jahre hoffen wir darauf, warten darauf, umklammern bei Nacht den Hemdsärmel, denn was ist die Weltgeschichte schon anderes als ein geruchloser Hemdsärmel. Meinst du denn, sie will uns, die Heimaterde? Meinst du, sie erwidert unsere Liebe? Unsinn! Sie speit uns wieder und wieder aus, schickt uns zum Teufel, schlägt uns erbarmungslos. Schlägt uns mit den Römern und den Griechen und den Arabern und den Fliegen. Na und, sagt hier etwa jemand: ›Wenn sie mich nicht will, muss ich gehen‹? Sagt hier jemand: ›Es ist sinnlos, sich mit Gewalt an die Heimaterde zu klammern, die dich seit dem Tag deiner Ankunft bloß wieder loswerden will‹? Nein. Man hält sie ganz, ganz fest und hofft. Hofft, dass sie sich letzten Endes vielleicht umblicken und uns sehen und sagen wird: Die da. Die will ich.«

11
    A uf der Suche nach dem Dichter landete Bella in Tel Aviv. Man könnte vielleicht auch sagen, die Stadt hatte sie herbeigerufen. Die vorige Begegnung der beiden war kurz und bitter verlaufen. Diesmal fiel sie länger und süßer aus. Bella begann ihren Besuch im Haus des Irgun-Vizechefs, der ihren Halsausschnitt und ihre blühenden Lippen ignorierte, ihr jedoch lange in die Augen blickte. Bella wusste, dass er nicht sie betrachtete. In den Nächten an Bord mit Seev Feinberg hatte sie erkennen gelernt, wann sie selbst Objekt des Begehrens war und wann nur ein notdürftiger Ersatz. Als der Irgun-Vizechef Bella in die Augen blickte, begriff sie, wen er wirklich dort sehen wollte, ließ ihn aber gewähren. Nachdem er sich sattgesehen hatte, sagte er, sie könne hier in seiner Wohnung übernachten. Er würde ohnehin ein paar Nächte im Einsatz verbringen, wie lange genau, wisse er nicht, und mehr werde er dazu auch nicht sagen. Warum sollte sie derweil nicht hierbleiben? Bella Markowitz inspizierte die Wohnung. Nichts fehlte darin, und doch fehlte etwas, das sie nicht ausmachen konnte. Erst drei Tage später merkte sie, dass die Wohnung nichts Persönliches enthielt: Es gab kein Bild an der Wand, keinen verschossenen Teppich, der nur aus nostalgischen Gefühlen noch nicht weggeworfen wurde, keinen Gegenstand mit erkennbarer Vorgeschichte. Die Wohnung des Irgun-Vizechefs war nicht das Heim einer Privatperson, in dem Gegenstände und Gefühle in Wechselbeziehung stehen. Vergeblich stellte Bella Markowitz selbst gepflückte Blumen auf, legte eine gerade fertig gestickte Decke aus. Die Wohnung stieß das Persönliche ab wie einen Fremdkörper: Die Blumen verwelkten, und die Stickdecke wirkte dermaßen lächerlich, dass sie sie

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