Eine Nacht, Markowitz
reinigen, sondern die Methode des Körpers, in die Zukunft zu weisen.
Bella erzählte dem Dichter nichts von der Schwangerschaft. Sie packte eines Morgens ihre Sachen und verließ das Haus, ohne an der Türschwelle oder an der Straßenecke innezuhalten. Aber vier Ecken weiter blieb sie stehen, weil sie nicht wusste, wohin. In Tel Aviv wollte sie nicht bleiben. Zu viele Dichter liefen hier auf den Straßen herum. Jerusalem erschien ihr zu heilig. Haifa liebte sie, doch auch dort bestand die Gefahr, dass man ihr Kind als Bastard betrachten würde. Vielleicht sollte sie bei einem Kibbuz anklopfen. Dort nehme man es mit Religion und Ehe nicht so genau, und die Liebe teile man ebenso wie die Nahrung, hatte sie gehört. Doch wer wollte wohl eine junge Schwangere aufnehmen, die ein Reiskorn nicht von einem Weizenkorn unterscheiden konnte? Lange blieb Bella auf der Stelle stehen. Passanten gingen kreuz und quer über die Straße, und Bella folgte ihnen in Gedanken. Von Tel Aviv nach Haifa. Von Haifa nach Jerusalem. Von Jerusalem in einen Kibbuz. Und da keines dieser Ziele ihr passend erschien, peilte sie andere an. Petach Tikwa, Tiberias, Rischon LeZion. Bellas Gedanken wanderten durchs Land, huschten über die Moschawa und hasteten schnell weiter. Nicht dorthin. Dorthin nicht. Aber je mehr Bella ihre Gedanken von der Moschawa fernzuhalten versuchte, desto hartnäckiger kehrten sie dorthin zurück. Sie dachte an die Quelle, zu der Sonia sie mitgenommen hatte, ein Feigenbaum bewachte ihre Öffnung, und dahinter waren sie nackt geschwommen und hatten einander das Haar gekämmt. Sie dachte an Rachel Mandelbaums Balkon, auf dem jetzt sicher ein Kind spielte und auch ihr Kind würde spielen können. Zum Schluss dachte sie an Jakob Markowitz, der ein schlechter und gemeiner Mann war, aber ein gutes Einkommen und ein geräumiges Haus hatte.
An einem kalten Abend im Monat März kehrte Bella in Jakob Markowitz’ Haus zurück. Sie kam, wie sie gegangen war, ohne ein Wort zu sagen. Als Bella eintrat, arbeitete Jakob Markowitz auf dem Feld. Hin und wieder hob er mechanisch den Kopf von der Hacke, in der Hoffnung, ihre schlanke Gestalt auf dem Weg zu entdecken. Geschlagene zwei Jahre lang hatte er so den Kopf von der Hacke gehoben, was ihm einen ständigen Schmerz im Nacken eingebracht und ihn stärker als früher gebeugt hatte. Trotzdem hob er etwa alle zwanzig Minuten den Kopf, mehr aus Gewohnheit denn aus Hoffnung. An dem Tag, an dem Bella zurückkehrte, hob Jakob Markowitz den Kopf von der Hacke und sah eine Frauengestalt in der Ferne. Sein Herz begann, wie ein Vogel zu flattern, aber sein Kopf gebot ihm strengstens Ruhe. In den ersten Monaten nach Bellas Weggang war er vom Feld gerannt, sobald er nur eine Frau auf dem Weg erblickte. Untersetzt oder groß, schlank oder dick. Er wusste sehr wohl, dass keine von ihnen Bella war, doch seine Füße spurteten an seiner Stelle, rannten querfeldein, hasteten den Weg entlang, hielten verlegen vor der ersehnten Gestalt, die nun, von Angesicht zu Angesicht, Bella Markowitz kein bisschen glich. Hin und wieder, wenn die Langeweile über die Tugend der Barmherzigkeit siegte, wickelte sich einer der Dorfburschen ein Stück Stoff um die Hosen und ging hüftschwenkend des Weges. Jakob Markowitz hob den Kopf von der Hacke und sah von Weitem eine kräftige Gestalt, die den Gang einer Frau hatte und einen Rock trug, und obwohl er merkte, dass irgendwas nicht stimmte, sogar das Kichern der Spaßvögel hörte, die sich im Gebüsch versteckt hielten, schritt er doch mit hoffnungsvollem Blick darauf zu.
»Du machst dich lächerlich«, sagte Seev Feinberg, als er ihn einmal unter spöttischen Pfiffen aufs Feld zurückgehen sah. »Sie kommt nicht wieder.« Jakob Markowitz erwiderte: »Mal sehen«, lief aber nun nicht mehr bei jeder Frau in Sichtweite los. Jetzt hob er nur noch den Blick, um die Gestalt in der Ferne zu mustern. Hatte sie Ähnlichkeit mit Bella, verfiel er in Laufschritt, aber wenn nicht, blieb er an Ort und Stelle. Und da wenige Frauen eine ähnliche Figur wie Bella hatten, erst recht nicht wie die Bella in seiner Erinnerung, verließ Jakob Markowitz nur noch selten das Feld. An dem Tag, an dem Bella zurückkehrte, sah er ihre Gestalt auf dem Weg. Sein Herz wollte, wie immer, losstürmen, aber seine Füße verharrten auf dem Fleck. Die Frau ging schwerfällig, langsamen Schritts. Ihre Waden waren dick und ihre Schultern leicht gebeugt. Bella dagegen hatte einen aufrechten Gang und flinke
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