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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Markowitz’ Frau zurückgekehrt war.
    Die Gerüchte kamen nicht gleich auf. In jenem Jahr hatten die Leute anderes im Kopf. Den Vormarsch der alliierten Truppen, den Nachschub der verfluchten Deutschen, die Angriffspläne der Araber. Weltbewegende Probleme. Aber hier, vor Ort, schwoll der Bauch einer schönen Frau, und anderthalb Monate später konnte kein Mensch im Dorf es mehr übersehen. So kam es, dass die großen Probleme den kleinen Fragen wichen und schließlich den kleinlichen Gedanken, die nichts als Streit und Zwist mit sich bringen und einem doch so glatt über die Zunge gehen.
    »Das ist nicht von ihm, das Kind.«
    »Woher weißt du das?«
    »Hast du schon vergessen, wie sie nachts immer verschwunden ist?«
    »Aber seit ihrer Rückkehr ist sie kein einziges Mal verschwunden.«
    »Vielleicht ist sie mit einer Überraschung im Sack zurückgekommen.«
    Zuerst fielen die Worte in den eigenen vier Wänden, flüsternd, wenn die Lampe gelöscht war und die Eheleute einander mit ein wenig Klatsch versöhnen wollten. Aus dem Schlafzimmer wanderten sie an den Esstisch, vielleicht könnten sie die Suppe würzen. Und von dort gingen sie aus in die Pflanzungen und auf die Felder, um müde Ohren munter zu machen. Zum Schluss bekamen die Gerüchte kommerziellen Einschlag, als Michael Nudelmann zwanzig Pfund für den auslobte, der die Einzelheiten der Geschichte bei Jakob Markowitz eruieren würde. Seinerzeit war Michael Nudelmann ein junger Bursche und Jakob Markowitz ein gestandener Mann, aber Michael Nudelmann machte den Unterschied an Jahren durch zwanzig zusätzliche Zentimeter in Höhe und Breite wett. Michaels jüngerer Bruder, Chaim, stellte sich der Herausforderung. Er passte Markowitz auf dem Rückweg vom Fleischer ab, Hände in den Hosentaschen, einen gespielt naiven Ausdruck im Gesicht.
    »Morgen, Markowitz.«
    Jakob Markowitz nickte und ging weiter. Michael und Chaim Nudelmann kannte er hinlänglich von den Abenden, an denen sie in dümmlich nachgeäfftem Frauengang die Feldwege entlanggetrippelt waren, auf sein erleichtertes und hoffnungsvolles Herbeirennen lauernd.
    »Bringst Fleisch für die Dame des Hauses?« Jetzt ging Chaim Nudelmann eng neben ihm her, die Pubertätspickel leuchteten wie Sternbilder auf seinem Gesicht. »Sehr gut fürs Baby, das Fleisch. Vor allem, falls es blutarm zur Welt kommen sollte. Bist du selbst blutarm, Markowitz? Nein, gewiss nicht, ich seh dein Gesicht ja jetzt schon rot anlaufen. Vielleicht ist die Dame blutarm? Sie sieht keineswegs so aus, mit ihren roten Wangen. Dann ist vielleicht jemand anders blutarm, ha, Markowitz, vielleicht der Vater – «
    Hier wurde Chaim Nudelmanns Redestrom durch einen überraschenden Fausthieb von Jakob Markowitz unterbrochen. Der Fausthieb hatte überraschend ausfallen müssen, denn anders hätte ein Mann von Jakob Markowitz’ Größe und Breite einen Mann wie Chaim Nudelmann nicht zu Boden schlagen können. Nun ging Jakob Markowitz neben Chaim Nudelmann in die Hocke und wedelte ihm mit dem blutigen Fleischlappen über der Nase herum. »Wenn irgendwer, du oder jemand anders, die Identität des Kindsvaters noch einmal anzweifeln sollte, werde ich dafür sorgen, dass dein oder dessen Gesicht hinterher so aussieht wie dieses rohe Steak.«
    In jener Nacht focht Jakob Markowitz die erste Schlägerei seines Lebens aus. Er selbst war schon früher geschlagen worden, natürlich, aber diesmal schlug er zurück wie ein Mann unter Männern, drosch auf Chaim und Michael ein, bis er das herrliche Krachen einer unter seiner Faust brechenden Rippe hörte. Er unterlag, natürlich, aber als die Brüder ihn grün und blau geschlagen am Wegrand liegen ließen, konnten sie das Lächeln auf seinem Gesicht nicht übersehen. Als er nach Hause humpelte, kam Bella ihm entgegen. »Dreckskerle«, sagte sie, und Jakob Markowitz flatterte das Herz vor lauter Glück, denn noch nie hatte er in ihrem Gesicht so heftigen Abscheu gesehen, der nicht ihm galt. Am nächsten Tag kam er früher vom Feld zurück. Er fand sie stickend im Wohnzimmer, im Morgenrock. »Zieh dich an, wir machen einen Spaziergang.« Bella hob die Augen vom Stickzeug. »Es hat sich viel geändert zwischen uns, Markowitz. Aber trotzdem, der einzige Gang, den ich mit dir zu machen bereit bin, ist zum Rabbinat.« »Wie du möchtest. Die Gerüchte über die Herkunft des Kindes werden jedoch erst aufhören, wenn du zeigst, dass du meinetwegen zurückgekehrt bist, dass du bei mir sein willst.« Bella

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