Eine Nacht, Markowitz
sondern ein Schakal). Schließlich merkte sie, dass sie nicht länger bleiben konnte, und verabschiedete sich. Je näher sie dem Haus kam, desto zögerlicher ging sie. Als sie die Tür aufmachte, wurde ihr übel, und sie hastete zur Toilette. Zwanzig Minuten wartete sie vor der Kloschüssel. Dann stand sie auf – nicht, weil die Übelkeit verflogen war, sondern weil sie trotzdem handeln wollte.
Jakob Markowitz schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Vertreibung aus seinem Bett aufs Sofa hatte ihm nichts ausgemacht. Seit Bellas Weggang war ihm das Bett mehr Folterkammer denn Ruhestätte gewesen. Seine Nächte hatte er offenen Auges verbracht, in angespanntem Horchen auf Bellas Füße auf der Türschwelle. Schließlich hatte er die kalte Nachtluft der erwartungsschwangeren Wärme der Laken vorgezogen und nachts Wache in der Moschawa geschoben. In der Nacht nach Bellas Rückkehr schlief Jakob Markowitz erstmals seit zwei Jahren den Schlaf der Gerechten. Bella trat ans Sofa. Sie sah ihn nicht an, als sie die Bluse auszog, auch nicht, als sie den Rock abstreifte. Sie legte hastig Büstenhalter und Unterhose ab, als hätte sie beschlossen, in eiskaltem Wasser zu baden, wüsste, dass sie beim kürzesten Zaudern einen Rückzieher machen würde. Bella Markowitz holte tief Luft und stieg zu ihrem Mann ins Bett.
Jakob Markowitz erwachte nicht gleich. Er hatte sein Leben lang allein geschlafen, und sein Körper tat die Berührung der zarten Haut schnell als weitere Traumgaukelei ab. Doch als die Berührung einige Sekunden später noch andauerte, sich sogar der sanfte Atem einer Frau dazugesellte, schlug Jakob Markowitz die Augen auf. Bella Markowitz lag neben ihm, die Augen geschlossen, der Körper entblößt. Jakob Markowitz wagte keinen Mucks zu machen. So groß war dieses Wunder, dass es beim kleinsten Fehler sicher spurlos verschwinden würde. Nicht einmal hinzuschauen traute er sich. Er lag nur mit geschlossenen Augen neben ihr und sog ihren Duft ein, der etwas von Tau und Honig hatte. Nach einigen Minuten öffnete er wieder die Augen. Sie war immer noch da. Nackt. Großartig. Überließ ihren Körper seinen starrenden Augen. Sogar in ihrer Blöße blieb sie stolz. Eine perfekte Marmorstatue, zu der die schaulustigen Massen strömen, auch mal frech die Hand ausstrecken, um sie zu streicheln, wenn der Wärter nicht hinguckt, aber ihre Schönheit bleibt ihr allein vorbehalten, egal, wie viele sie betrachten. Nun wusste er nicht, wo zuerst hinschauen: Die elfenbeinernen Schultern, die er zu erspähen versucht hatte, wenn sie im Haus herumlief und sich bückte, um einen schweren Gegenstand aufzuheben, ruhten jetzt neben ihm. Darunter erhoben sich zwei vollkommene Brüste, zwei runde Granatäpfel, deren kronenartige Nippel in den Himmel zeigten. Dann der rundliche, honigsüße Bauch, sein Nabel eine goldene Münze. Und weiter unten. Und weiter unten. Jakob Markowitz schaute auf das Dreieck von Bella Markowitz’ Scham und bekam einen Schwindelanfall. Er schloss wieder die Augen. Als er sie aufschlug, übersprang er rasch die Scham von Bella Markowitz – wie viel Glück kann der Mensch schon verkraften? – und blickte auf ihre Schenkel. Die hatten Bella in letzter Zeit großen Kummer bereitet, da sie sich mit bläulichen Venen und ersten Anzeichen von Orangenhaut überzogen. Aber im Dunkel der Nacht übersah Jakob Markowitz diese Defekte, und wahrscheinlich hätte er sie selbst bei Tageslicht kaum bemerkt. Nicht, weil seine Sehkraft nachgelassen hätte. Jakob Markowitz’ Sehorgane bemühten sich, genau wie die aller anderen Menschen, ihrem Eigentümer das zu liefern, was er gern sehen wollte, und ihm alles Übrige zu verbergen. Bellas Füße wiederum gehörten zu genau den Dingen, mit denen das Auge seinen Besitzer erfreuen möchte: klein, rundlich, ein Meisterwerk an Planung und Ausführung.
Als er damit fertig war, ihren Körper von Kopf bis Fuß zu studieren, ging er daran, sie von Fuß bis Kopf zu betrachten. Besonderes Vergnügen bereiteten ihm dabei ihre Gesichtszüge. Obwohl er sie viele Male gesehen hatte – sei es in Fleisch und Blut, sei es im Geist – wirkten sie doch anders in Verbindung mit dem nackten Leib. Das Gesicht war die Ausgeburt des Körpers, geradeso wie der Körper die Verheißung war, die im Gesicht verborgen lag. Das Rot der Lippen passte zu den rosigen Nippeln. Die Rundung des Kinns entsprach den Rundungen des Fußes. Der Bogen der Brauen verwies auf das Dreieck der Scham.
Hinter den
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