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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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gefunden, die du suchtest?«
    »Hab ich. Die Mutter des Lahmen aus Safed glaubt, ihr Sohn säße jetzt neben dem Erzengel Uriel. Ihre Augen sind nach droben gerichtet, aber ihre Tränen fallen zur Erde. Die Frau des Jaffaer Händlers hat mich zwar mit Hausrat und Eiern und Kuchen bombardiert, aber seinen Tod beweint, ehe sie ein Huhn nach mir warf. Du hattest vor, mir mit diesem Ring die Kehle aufzuschlitzen, hast mich jedoch geschont und den Spieler betrauert. Jetzt befürchte ich, dass du deinen Ring benutzt, um dir ins eigene Fleisch zu schneiden.«
    Der Mann sog lange an seiner Zigarette. Erst jetzt schien auch er die Reihe der Blutstropfen auf dem Tisch zu bemerken. »Nein«, sagte er, »ich werde mich nicht schneiden. Ich muss ja auf die Ankunft des amerikanischen Spielers mit der zweifelhaften jüdischen Identität warten.« Eine Weile schwiegen sie beide. Es blieb wohl nichts mehr zu sagen. Jakob Markowitz wollte schon aufstehen, als der Mann mit der Jacke wieder die Augen auf ihn richtete. »Du hast vorhin gesagt, du hättest auch so was Heißbegehrtes, das du nicht aufzugeben bereit bist, und wenn es dich dein Leben kostet.« Jakob Markowitz dachte an Bella und antwortete: »Richtig.«
    »Warum bist du dann nicht schleunigst zu diesem Etwas zurückgekehrt, einer Frau, nehme ich an? Der Krieg hat so lange gedauert. Mit jedem weiteren Tag in der Ferne verlierst du ein wenig mehr.« Jakob Markowitz lächelte bitter und erwiderte, der Mensch könne nichts verlieren, was er nie besessen habe. Darauf zog der Mann – ohne dass Markowitz sah, woher genau – einen dicken Umschlag aus der Jacke. »Nimm.«
    Als Jakob Markowitz den Umschlag öffnete, den ihm der Jackenträger übergeben hatte, entdeckte er darin das, was die meisten Menschen in solchen Umschlägen in die Jackentasche stecken: Geld. Aber meist legen sie nicht so viel hinein. Der Umschlag, den der Mann Jakob Markowitz überreicht hatte, war zum Bersten voll mit Banknoten. »Das Eine, das ich haben wollte, können diese Geldscheine mir nicht wiederbringen. Wer weiß, vielleicht bringen sie dir, was du haben möchtest.« Der Mann mit der Jacke stand auf und bedeutete Jakob Markowitz damit das Ende der Unterredung. So kehrte Jakob Markowitz als reicher Mann in sein Haus zurück.

10
    A ls Jakob Markowitz sich der Moschawa näherte, stand Bella am Rand des Feldes. Das tat sie immer, wenn sie schon lange einen passenden hebräischen Reim für einen der deutschen Reime suchte, die Rachel Mandelbaum hinterlassen hatte. Sobald sie auf eine besonders widerspenstige Zeile stieß, erhob sich Bella von ihrem Stuhl im Wohnzimmer und ging im Raum umher. Dabei umspielte der Rock ihre Beine, und der leise Luftzug förderte den passenden Reim manchmal zutage. Aber häufig verweigerte sich das Hebräische weiter. Dann machte Bella die Haustür auf, trat in den Hof hinaus und drehte ein paar Runden ums Beet. Der Geruch der feuchten Erde versöhnte meist die Worte, sodass sie sich dort einfanden, wo sie sie brauchte. Doch gelegentlich versagten auch Beet und Erdgeruch, und Bella Markowitz sah sich gezwungen, die Gartenpforte zu passieren und auf das Feld hinterm Haus zu spazieren. Es bestand ein direkter Zusammenhang zwischen der Entfernung, die sie zu Fuß zurücklegte, und dem Maß an Widerstand, den die hebräische Sprache der Übersetzungsarbeit entgegensetzte. Nur gelegentlich musste sie bis zum Rand des Feldes wandern, und ein einziges Mal gelangte sie bis ans Ende des Dorfgebietes, ehe sie »Sehnen!« rief und begeistert zurücklief, geradewegs an ihren Schreibtisch.
    Aber es kam auch vor, dass Bella auf ihrer Fahndungstour nach einem ersehnten Reim plötzlich erstarrte, angespannt auf ein Geräusch horchte oder etwas aus den Augenwinkeln sah. Dann suchten ihre Augen rasch den Horizont ab, die Felder, den Pfad, der zum Steinhaus führte. Erst, wenn sie absolut sicher war, dass ihre Sinne sie getäuscht hatten und sie immer noch allein war, kehrte sie langsam wieder an ihr lyrisches Werk zurück, nur die Nasenspitze zitterte noch misstrauisch. Sobald Bella Markowitz das Gesicht dem Pfad zuwandte, wandte auch Zwi den Kopf. Was er dort erwartete, wusste sie nicht, aber die nervösen Gesten der Mutter, ihre jähe Anspannung, lenkten seinen Blick zur Anhöhe. Wenn Bella in ihre Übersetzungsarbeit vertieft war und ihm seine Spiele langweilig wurden, ging er manchmal ins Freie und sah mit fragenden Augen zum Pfad hinüber. Vielleicht würde dort das erscheinen, worauf

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