Eine Nacht, Markowitz
leicht. André schwärmte für Hollywood und hatte was gegen griechische Tragödien.«
Beim Reden drehte der Jackenträger den goldenen Ring am Finger. Jetzt sah Jakob Markowitz, wie spitz der rautenförmige Rubin daran war. Man konnte einem Menschen damit mühelos die Kehle aufschlitzen. Jakob Markowitz schluckte. Er suchte etwas Nettes, das er seinem Nebenmann sagen könnte. Schließlich hatte er es: »Sicher ist die Spielerrivalität bei euch irgendwann in wahre Freundschaft umgeschlagen.« Der andere schüttelte den Kopf. »Ich habe nie mit André am Spieltisch gestanden.« »Wie habt ihr euch denn dann kennengelernt?« Der Mann deutete auf die Wand, an die er Jakob Markowitz zuvor geheftet hatte. »Hier, an dieser Wand.« Beim Erzählen streichelte er wehmütig den Rubinring. »Noch ehe André im Land eintraf, hatte man mich engagiert, um einen amerikanischen Spieler zu erledigen, der vor seinen Gläubigern nach Israel geflüchtet war. Tagelang habe ich ihm in den Spielclubs aufgelauert. Bis ich eines Abends sicher war, ihn gefunden zu haben: André ließ die Würfel springen und zitierte ganze Passagen aus Humphrey-Bogart-Filmen. Als er sich zum Gehen anschickte, packte ich ihn an der Gurgel, um ihn in die Welt mit lauter Sechserwürfeln zu befördern. Aber da fing er an, auf Französisch um sein Leben zu flehen. Schließlich überzeugte er mich, dass er nicht der Mann war, den ich suchte.«
Eine salzige Träne tropfte aus den Augen des Jackenträgers und landete geradewegs auf dem spitzen Rubin. »Natürlich war er in anderer Hinsicht der Mann, den ich suchte. Ein ganzes Jahr waren wir zusammen. Zum Geburtstag habe ich ihm genauso einen Ring bestellt, wie ich ihn trage. Damit er sich bei Gefahr wehren konnte. Der süße André! Er hat lange gelacht und dann gesagt, er könne mit einem Schmuckstück, das er von mir bekommen hatte, niemals einen Hals aufschlitzen. Er war ja so zartbesaitet wie ein Kind.«
»Warum ist er weggegangen?« Kaum waren ihm die Worte über die Lippen gekommen, erkannte Jakob Markowitz seinen schweren Fehler. Die Neugier, diese listige Dämonin, hatte sich seiner Zunge bemächtigt, hatte seine Beschützerinnen, Vorsicht und Vernunft, vertrieben. Die Hand des Jackenträgers erstarrte auf dem Rubin. Der Mann warf ihm einen feindseligen Blick zu. »Er ist nicht weggegangen. Er musste fliehen.« »Natürlich«, sagte Jakob Markowitz hastig. »Selbstverständlich.«
»Eines Tages kehrte ich von einer einwöchigen Reise heim und fand die Wohnung leer vor. Während ich mich um einen Mann gekümmert hatte, der in Schwierigkeiten gewesen und nach Akko geflüchtet war, waren drei Kerle aus Frankreich hier anmarschiert. André hatte es noch rechtzeitig mitgekriegt und war abgehauen. Manche sagten, er sei außer Landes geflüchtet. Andere meinten, er hätte sich zum Militärdienst gemeldet. Aber ich wusste, dass er zurückkommen würde. Ich hab die Scheißkerle beseitigt und bin dann los, um ihn unter den Kriegern zu suchen.«
»Bist du auch Soldat geworden?«
»Um Himmels willen. Den Ring gegen ein Gewehr eintauschen? Die Intimität aufgeben, den Tod in Handarbeit zugunsten einer entfremdeten Fließbandproduktion? Nein, nein. Ich war ein Einzelkämpfer in einem fabrikmäßigen Krieg. Kein Mensch wird meinen Namen nennen, wenn es um Tapferkeitsauszeichnungen geht, aber ich schwöre bei meiner Seele, dass ich mit diesem Ring mehr Araber umgelegt habe als jeder andere Kämpfer. Und auch einen Offizier, der mir grob gekommen ist.«
Nun erzählte Jakob Markowitz dem Mann mit der Jacke von den Heldentaten seines Geliebten. Wie er die Festung erstürmt hatte und wie er blutüberströmt gefallen war. Der Jackenträger lauschte aufmerksam, streichelte geistesabwesend seinen spitzen Rubinring. Am Ende seines Berichts bemerkte Jakob Markowitz die feinen Schnitte, die der Ring den Fingern seines Zuhörers zugefügt hatte – winzige Blutstropfen tupften den Tisch wie Pilze. Der Mann achtete nicht darauf. Er war in Jakob Markowitz’ Gesichtszüge vertieft. »Und als deine Kameraden alle tot waren, hast du dich auf diese Tour durchs Land begeben? Als Ein-Mann-Klagechor?«
»Ich wollte sicherstellen, dass es für jeden meiner Kameraden zwei Augen gibt, die Tränen vergießen.«
»Was nutzen die Tränen deinen Kameraden? Sie sind ja alle tot.«
»Sie spülen den Staub von ihren Namen.«
Der Mann lehnte sich zurück, fischte eine einzelne Zigarette aus den Tiefen seiner Jacke. »Und hast du die Tränen
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