Eine Nacht wie Samt und Seide
Natur die Gesellschaft normalerweise nicht billigen würde; nachdem er sich von Dillons Entschlossenheit und seinen Absichten überzeugt hatte, hatte Seine Lordschaft das Risiko als in diesem Fall notwendig abgetan.
Väterliche Billigung und mehr, sogar offene Ermutigung hatte er erhalten.
Dann hatte er seine Karte Russ überbringen lassen, der sogleich zu ihm nach unten gekommen war. Der Earl war ihnen in der Eingangshalle begegnet, aber während Seine Lordschaft auf dem Weg zu White’s war, wollte Russ lieber zu Boodle’s, wo Dillon Mitglied war. Auf dem Weg dorthin hatte Dillon ihm erklärt, wie es zwischen Pris und ihm stand. Sogar noch freimütiger als sein Erzeuger hatte Russ Dillons Heiratsabsichten begrüßt und seine Hilfe zugesagt.
Erst später, als er sich schon für den Abend umkleidete, hatte Dillon begriffen, was Russ’ Unterstützung bedeutete. Russ und Pris teilten dieses besondere Band, das Zwillinge oft besaßen, und Russ war überzeugt gewesen - noch bevor Dillon ein Wort darüber verloren hatte -, dass Pris an seine Seite gehörte.
Er hatte sich auf den Weg zu ihr gemacht und war dabei schon wesentlich zuversichtlicher als auf der Fahrt in die Stadt heute Morgen. Die ersten Vorbereitungen für den Erfolg seines Plans waren abgeschlossen.
Wenn man eine Belagerung vorhatte, war es zuallererst nötig, mögliche Fluchtwege abzuschneiden.
Er schaute Pris an; es überraschte ihn nicht, ihre Stirn tief gefurcht zu sehen; sie drehte sich langsam zu ihm um und richtete ihren vorwurfsvollen Blick auf ihn, musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
Eine unheilvolle Pause entstand, dann sagte sie mit schrecklicher Ruhe: »Wenn du mich bitte entschuldigst?«
Eis umhüllte die Worte; mit einem vagen Nicken wandte sie sich ab.
Er streckte die Hand aus und schloss sie um ihr Handgelenk. Erwiderte den wütenden Blick aus grün lodernden Augen, mit dem sie ihn schier durchbohrte, als sie zu ihm herumfuhr, bereit, ihn zu erschlagen. »Wohin?«
Mit schmalen Lippen holte sie tief Luft, wobei sich ihr Busen unheilvoll in dem großzügigen Ausschnitt ihres wasserblauen Seidenkleides hob. »In den Salon, in den die Damen sich zurückziehen.« Sie zischte die Worte fast, so zornig war sie.
Das war der eine Ort, an den er ihr nicht folgen konnte.
Sie schaute bedeutungsvoll auf seine Finger um ihr Handgelenk. Er ließ sie los.
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, begab sie sich mit raschelnden Röcken voll tödlicher Anmut zur nächsten Tür.
Dillon folgte ihr mit den Augen. Als sie den Ballsaal verließ, verzogen sich seine Lippen dieses Mal zu einem Lächeln.
Pris verspürte nicht den Wunsch, die Annehmlichkeiten des Rückzugsraumes zu nutzen, sie hatte auch keine abgerissene Spitze oder einen eingerissenen Saum an ihrem Kleid, die eine Reparatur erforderlich machten. Es gab mehrere Spiegel in dem Zimmer; sie stand vor einem, tat so, als müsse sie die Locken ordnen, die in kunstvoller Unordnung aus dem Knoten auf ihrem Kopf fielen.
Sie blieb stehen, schaute leidenschaftslos ihr Spiegelbild an, überlegte, was die anderen wohl sahen. Eine Dame von mittlerer Größe, deren Züge unbestreitbar schön und fesselnd waren, mit glänzendem schwarzem Haar, rosenroten vollen Lippen, einer schlanken, aber doch eindeutig kurvenreichen Figur in wasserblauer Seide, deren changierende Farbschattierungen mit jeder Bewegung an die verschiedenen Farbtöne des Meeres erinnerten.
Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse; ihr Busen drohte aus dem engen Oberteil mit dem tiefen Ausschnitt zu quellen. Sie wünschte, sie hätte mit ihrer Ankunft in London wieder ihre Blaustrumpf-Verkleidung angenommen. Das hätte ihr vielleicht den niederdrückendsten Aspekt ihrer Rückkehr in den Ballsaal erspart - als eine oberflächliche junge Dame betrachtet zu werden, die in den Augen eines Gentlemans nicht mehr war als ein Gesicht und ein Körper.
Sie schauten hin, sahen aber nicht wirklich.
Sie schauten in ihr Gesicht und sahen nur die vollkommenen Züge. Sie schauten auf ihre Figur und sahen nur ihren wohlgerundeten Busen, die anmutigen Linien ihrer Hüften und Schenkel, ihrer langen Beine.
Sie sahen sie nicht. Nicht so, wie Dillon sie sah ...
Einen langen Moment starrte sie in den Spiegel, dann wandte sie sich mit zusammengekniffenen Lippen ab. Sie würde sich nicht erweichen lassen. Sie würde es sich nicht anders überlegen, nicht einmal für ihn. Wenn sie ihr Herz gegen ihn nicht verhärten konnte, dann musste
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