Eine Nacht zum Sterben
vor, und da sahen sie im Wasser den Kopf eines Mannes untertauchen. Mit der Hand griff er verzweifelt in die Luft.
Chavasse stürzte sich sofort ins Wasser und langte nach der ausgestreckten Hand; das Wasser ging ihm bis an die Brust. Der Mann ging wieder unter; aber er hatte ihn jetzt sicher im Griff, und der schlammige Boden gab ihn widerwillig frei.
Darcy hielt ihm einen Arm entgegen, und sie legten den Mann ans Ufer. Er war dünn und ausgemergelt und hatte graues Haar; er mochte wohl siebzig Jahre alt sein. Er hatte nur eine Schlafanzughose und eine ärmellose Weste an; sein Körper war blau gefroren. Er bibberte vor Kälte und sah sie mit weit aufgerissenen und furchtsamen Augen an. Dann wurde er ohnmächtig.
»Ein armer Teufel.« Chavasse hob den linken Arm an; er bestand nur noch aus Haut und Knochen. »Hast du das schon mal gesehen?«
Darcy sah sich die zahlreichen winzigen Einstiche an und nickte. »Heroinsüchtig. Muß schon ziemlich weit fortgeschritten sein. Wer mag das wohl sein?«
Chavasse knöpfte sich den Anorak auf. »Bei Mallory habe ich mal ein Foto von ihm gesehen, aber darauf sah er noch gesund aus.«
»Montefiore?«
»In Person.« Chavasse brachte den bewußtlosen Mann in eine sitzende Lage, zog ihm den Anorak über den Kopf und nahm ihn dann in beide Arme. »Laß uns hier verschwinden, sonst stirbt er uns noch unter den Händen.«
Auch auf der Rückfahrt übernahm Preston die Ruder. Chavasse saß hinten und hielt Enrico Montefiore. Es ging ihm offenbar sehr schlecht; er stöhnte unaufhörlich, von Zeit zu Zeit schrie er leise; aber er kam nicht mehr zu Bewußtsein.
Irgendwo in der Nähe bellte der Schäferhund; sie hörten, daß ein Motorboot gestartet wurde. Das trockene Knattern des Außenbordmotors war unverkennbar.
Chavasse sah immer wieder auf den Kompaß und gab Darcy genaue Anweisungen; und der legte sich mächtig ins Zeug. Einmal blieben sie in besonders dichtem Schilf stecken. Chavasse legte Montefiore vorsichtig hin und stieg aus, um zu schieben.
Es war kalt, bitter kalt; das Wasser war nun in seine Stiefel gedrungen, und ohne den Anorak war sein Oberkörper ungeschützt.
Der Hund bellte immer noch; es hörte sich an, als seien die Leute näher gekommen, der Außenbordmotor knatterte monoton. Chavasse schob aus Leibeskräften, bekam das Boot frei, kletterte an Bord, und es ging weiter.
Augenblicke später erreichten sie eine größere Lagune, und vor ihnen tauchte die Alouette aus dem Nebel auf.
»Jacob«, rief Chavasse, und als sie dichter herangekommen waren, sah er Malik im Hinterschiff sitzen, über sich immer noch den riesigen schwarzen Regenschirm.
Das Schlauchboot prallte sanft längsseits gegen die Alouette . Chavasse stand auf und konnte jetzt unter dem Regenschirm Maliks Gesicht sehen. Der Schirm war mit einem Seil an die Reling im Heck gebunden, Maliks Augen starrten ins Leere; er war tot. Sein linkes Ohr war abgetrennt, und zwischen den Augen hatte er ein kleines blaues Loch.
»Guten Morgen, Chavasse. Willkommen an Bord.«
Rossiter kam aus der Kabine und lächelte ihm freundlich entgegen, als freue er sich wirklich über das Wiedersehen.
Oberst Ho Tsen stand im Hintergrund; sein Gesicht war immer noch mit einem Heftpflaster beklebt. Er hielt ein AK-Schnellfeuergewehr in der Hand und machte ein unerbittliches Gesicht; ein Professioneller vom Scheitel bis zur Sohle.
»Einer meiner Leute hat Sie gestern abend fotografiert«, sagte Rossiter. »Das machen wir immer, wenn Fremde in diesen Teil der Camargue kommen. Ich habe mich nicht schlecht gewundert, als man mir den Abzug zeigte.«
»Es hat lange gedauert, bis Sie hierhergekommen sind«, sagte Chavasse. »Keine gute Arbeit.«
»Sie vergessen das Wetter, mein Lieber. Als wir hier ankamen, waren Sie gerade losgefahren. Und da haben wir auf Sie gewartet. Besonders langweilig ist es nicht gewesen. Ihr Freund war ziemlich gesprächig, nachdem sich der Oberst mit ihm befaßt hatte. Nun ja, Sie wissen also alles über uns, Chavasse. Andererseits wissen wir aber auch alles über Sie.«
»Wie schön für Sie. Und was ist mit Montefiore?«
»Ein Problem für uns. Er hat das schon einmal gemacht. Ich werde seinen Wächter zur Rede stellen.«
Er holte eine Pfeife aus der Kabine und blies dreimal.
Darcy Preston sagte: »Wer hat ihn heroinsüchtig gemacht – Sie?«
»Es erleichtert den Umgang mit ihm«, sagte Rossiter.
»Er ist doch nur noch ein Wrack. Warum lassen Sie ihn nicht in Frieden sterben?«
»Und
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